Die sieben allseits bekannten Gipfelzacken der Churfirsten an einem Tag zu besteigen, ist seit vielen Jahren ein beliebtes Ziel für leistungsorientierte Bergwanderer und moderne Trail-Runner», so der Initiant der SAC-Aktion, der Melser Bergführer Thomas Wälti, im Bericht des SAC Piz Sol.
Weiter schreibt er:
Für mich als passionierter Kletterer war diese Version des Gipfelsammelns allerdings nie reizvoll.
«Über die ins Toggenburg teils recht steil abfallenden und grasbewachsenen Rücken führen markierte Bergwege zu allen Gipfeln. Die Wege sind aber oft ruppig und im schmierigen, feuchten Lehm unangenehm rutschig.»
Insgesamt sind es 26 Erhebungen
Zudem bestünden die Churfirsten genau betrachtet aus viel mehr als nur den sieben bekannten Gipfelpunkten Chäserrugg, Hinterrugg, Schibenstoll, Zuestoll, Brisi, Frümsel und Selun. «Zwischen der Nideri und Arvenbüel stehen 19 weitere Gipfel: Ritschen, Tristencholben, Rosenböden, Schibenstoll Westgipfel, Zuestoll-Spitzli, Brisi hat gar vier Gipfelpunkte, Frümsel Westgipfel, Silberi, Selun Ostgipfel, Wart, Schären Ost und -Westgipfel, Nägeler, Vorder Leistchamm mit zwei Gipfelpunkten, Mittler Leistchamm und Hinter (Amdner) Leistchamm.» Insgesamt seien es also rund 26 Erhebungen, welche als Gipfel gezählt werden könnten.
Diese Gesamtüberschreitung, möglichst der Gratlinie entlang, sei für ihn schon lange ein grosses Ziel gewesen, erzählt Wälti weiter. «Zusammen mit Christoph Angst konnte ich diese komplette Überschreitung aller Gipfel am 22. Juni 2003, einem der wärmsten Tage in jenem Hitzesommer, durchziehen.
Gestartet morgens um drei Uhr auf Lüsis, mit komplettem Klettermaterial und drei Liter Wasser im Rucksack, traf ich völlig ausgetrocknet um 19 Uhr im Arvenbüel ein. Christoph war bei der Gocht direkt abgestiegen, da er einfach genug hatte.»
Das vollständige, von Wälti spannend geschilderte Erlebnis kann imChurfirsten-Buch von Emil Zopfi («Alle in einem Tag») nachgelesen werden.
Interesse bei den Jungen aus der Region
«Eigentlich hätte man wissen müssen, dass sich Wälti nicht mit üblichen Routen zufriedengibt», berichtet Anna-Maria Jarc, Kulturverantwortliche des SAC Piz Sol. Trotzdem habe sie ihn gefragt, ob er im Jubiläumsjahr der SAC-Sektion die Churfirstenbeschreitung in einem Tag anbieten würde. Wälti habe wenig Begeisterung gezeigt.
Dafür aber habe er schon früh das Projekt West-Ost ins Auge gefasst, was Neugier, aber auch auf Zweifel weckte. Nicht so bei Wälti:
Die Traverse West-Ost am Grat, zumindest ab Selun bis Chäserrugg mit vielen Seilschaften zu versuchen, erschien mir durchaus realistisch und reizvoll.
Vermutlich habe der erfahrene Bergführer Wälti schon geahnt, dass die Idee bei den einheimischen jungen Kletterinnen und Kletterern auf Interesse stossen würde, so Jarc.
Vorverlegung war ein weiser Entscheid
Die Tatsache, dass die Tour auf jedem Gipfel und in jeder Scharte abgebrochen werden kann, machte das Vorhaben realistischer. So schrieb Wälti die Tour schon zu Beginn des Jubiläumsjahres im Programm der Sektion Piz Sol aus, für den 1. August. Rasch kamen viele Anmeldungen zusammen.
In der Zwischenzeit stieg die Spannung bei Anna-Maria Jarc, die auch dem OK Jubiläumsjahr angehört, zusehends – «auch angesichts der Wetterprognosen für den 1. August». Es sei schliesslich ein weiser Entscheid gewesen, die ganze Aktion um einen Tag vorzuverschieben.
Allerdings habe er auch Fragen aufgeworfen: Würden alle Teilnehmenden so flexibel sein? Würde jemand Wälti am Tag zuvor beim Einrichten der Abseilpisten helfen können? Würde es trotz allem klappen mit der vorgesehenen Bewirtung auf der Alp?
Es galt, viele lockere Steine in die Tiefe zu befördern
Zu sechst fuhren die Einrichter am Tag vor der Tour bei strömendem Regen Richtung Wildhaus und erreichten schliesslich bei zunehmendem blauen Horizont die Selamatt. Nun galt es, auf rutschig-feuchtem Weg auf dem Frümsel, Brisi und Zuestoll die Fixabseilpisten einzurichten und dabei viele lockere Steine in die Tiefe zu befördern.
Die Belohnung dafür wartete in der Ochsenhütte in Form eines guten Essens und einer freundlichen Bewirtung.
Der Start der ersten Seilschaft – es sollten sechs weitere folgen – lag um etwa vier Uhr morgens noch in der Dunkelheit. «Teils wegloses, steiles Gras und löcherige Karrenfelder führten uns auf den schmierigen Selunweg und auf diesem hoch zum Gipfel», schildert Wälti.
«Sofort befindet man sich im heikelsten steilen Gras- und Gratgelände. So nass und rutschig, wie es am Morgen nach Regentagen dort sein kann, war dies eine ganz grosse Herausforderung und alle mussten hoch konzentriert am kurzen Seil gehen. »
Und die Kletterpartien? «Schwierigkeiten bis 6a, teils plattig, teils steil und nicht übersichert mit Haken wollten gemeistert werden.»
Spezieller Gipfel, auf dem noch kaum jemand war
Als man kurz nach elf Uhr von der Palisniederi aus den Helm eines ersten Kletterers auf dem Brisi Ostgipfel entdecken konnte, folgte erleichtertes Aufatmen. Jetzt gab es erst einmal Getränke für alle. Die Getränke-Crew blieb auf der Palisnideri, bis alle Seilschaften den Zuestoll in Angriff genommen hatten.
Die Spannung stieg erneut beim Zuschauen, wie die ersten Seilschaften ihre Kletterei am «neuen Westwändli» beim Zuestoll fortsetzten. Die Beine weit gespreizt, die Hände nach Rissen und Leisten suchend, den Körper an die feuchte Felswand gedrückt, das Seil im Express eingehängt. Schon bald verschwand die Gestalt im Felsspalt, um weiter oben auf einem Podest zu erscheinen. Das Seil wurde eingezogen, der Nachsteiger begann zu klettern.
«Die Schlüsselstelle und auch der Rest dieser anhaltend anspruchsvollen Seillänge aufs Spitzli forderte die Allermeisten und da wurden gerne reihenweise Haken und Schlingen zu Hilfe genommen », erzählt Wälti weiter. «Das Zuestoll-Spitzli ist auch ein spezieller Gipfel, auf dem noch kaum jemand aus der Gruppe gewesen war.»
Dem Zuestoll folgten fünf weitere anspruchsvolle Seillängen am Westwändli des Schibenstolls. «Natürlich ist in solch neuen Churfirstenrouten auch der Fels nicht immer erste Sahne und Griffe und Tritte wollen sauber beurteilt werden», berichtet Wälti.
Zum Hinterrugg in Wanderschuhen
Um 19.50 Uhr erreichten fünf Seilschaften den Gipfel. Die erste Seilschaft war in der Obersäss Nideri ins Tal abgestiegen. Die letzte Seilschaft, die zum Teil schon Sicherungsmaterial abräumte, hatte die Begehung zu dieser vorgerückten Stunde aus familiären Gründen abgebrochen und den Rückweg via Stollefurgga angetreten.
Die Verbliebenen meisterten den Aufstieg zum Hinterrugg in Wanderschuhen und erreichten um 21.47 Uhr den Chäserrugg – im Dunkeln und zusammen mit ersten Regentropfen. «Bei bester Laune und im Stirnlampenlicht, gegrüsst von den sieben brennenden Höhenfeuern auf den gleichentags bestiegenen Gipfeln, erreichten wir gegen 23 Uhr endlich wieder eine Fahrmöglichkeit», notierte Wälti.
Unten im Tal blieb Anna-Maria Jarc angespannt, bis sie «am 1. August die Botschaft bekam, dass das Ziel des Chäserrugg von fü nf Seilschaften heil erreicht worden war». Jarc bedankte sich im Namen der Sektion Piz Sol bei Bergführer Wälti und seinen Seilschaften.
«Nun fehlt eigentlich noch die komplette West-Ost-Überschreitung ab Arvenbüel », so Wälti abschliessend.