Alle Welt bekämpft Neophyten – dieser Buchser hingegen liebt die invasiven Pflanzen | W&O

28.12.2021

Alle Welt bekämpft Neophyten – dieser Buchser hingegen liebt die invasiven Pflanzen

Markus Kobelt findet, dass Pflanzen nicht ausgerottet werden dürfen. Auch nicht Neophyten. Pflanzen essen und jäten ist in Ordnung. Es wird jedoch eine ethische Grenze überschritten, wenn Menschen Pflanzen systematisch verfolgen, ist der Lubera-Gründer aus Buchs überzeugt.

Von alexandra.gaechter
aktualisiert am 28.02.2023
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Markus Kobelt ist Gründer und Besitzer der Baumschule Lubera AG. Der Schweizer Obst- und Beerenspezialist betreibt einen Onlineshop für Pflanzen und Garten und unterstützt Pflanzentauschaktionen. Pflanzenvernichtungsaktionen jedoch nicht. Markus Kobelt, alle Welt bekämpft Neophyten. Sie nicht. Wieso? Markus Kobelt: Weil unsere Welt neue Pflanzen braucht, denn nichts anderes sind Neo-Phyten. In einer Zeit, in der sich die natürliche Umwelt menschengemacht rasant verändert – so schnell wie nie zuvor in der Geschichte – ist die Zufuhr neuer Pflanzen und demzufolge neuer Gene umso wichtiger. Es gibt Pflanzen, die gehen, weil es ihnen in der menschengemachten Umwelt schlichtweg nicht mehr passt. Da müssen andere kommen, wenn wir nicht zu viel an Diversität verlieren möchten. Neophyten gefährden die Diversität also nicht? Das ist unwissenschaftlicher Blödsinn. Neophyten, neue Pflanzen sind die Basis der Diversität, übrigens auch unserer Nahrungsmitteldiversität: Versuchen Sie sich mal unsere Nahrung ohne Mais, ohne Kartoffeln, ohne Erdbeeren, ohne Rhabarber, ohne Tomaten und so weiter vorzustellen. Ein Studie hat 1000 Jahre Pflanzeneinwanderung in England untersucht und kam zum Schluss, dass kein Fall nachzuweisen war, bei dem neue Pflanzen alte Pflanzen direkt verdrängt haben. Die Wahrheit ist viel einfacher: Alte Pflanzen gehen, wenn es ihnen nicht mehr passt, neue Pflanzen kommen genau dahin, wo es ihnen passt. Der Himalaja-Knöterich verdrängt andere Pflanzen durch Lichtentzug. Hier könnte eine neue, zehn alte Pflanzen verdrängen. Ist das immer noch gut für die Diversität? Jäten und auch mal bekämpfen ist erlaubt, wir Landwirte und Gärtner machen das seit einigen tausend Jahren. Ausrotten sollte man sich allerdings sehr gut überlegen. Vor allem aber sollte man ökonomische Überlegungen zu Kosten/Nutzen anstellen: Je kleiner die Anzahl der Pflanzenarten ist, die man einzudämmen versucht, desto grösser sind meine Erfolgsaussichten. Strategien sind erfolgreicher und viel günstiger, die sich auf eine Koexistenz einlassen – die also versuchen mit invasiven Neophyten zu leben. Wir lernen die Lektion gerade bei Viren. Das heisst, dass Sie Landwirte verstehen, die gegen das Berufskraut vorgehen? Klar, und das ist auch kein Problem. Ich wiederhole mich: Jäten unerwünschter Unkräuter oder Beikräuter ist erlaubt. Machen wir auch, machen wir alle in unseren Gärten. Das Problem beginnt dann, wenn man eine Hexenjagd gegen Pflanzen – vor allem gegen fremde Pflanzen – anzettelt. Können Sie auch von invasiven Neophyten etwas abgewinnen, die der Bund auf die Schwarze Liste gesetzt hat? Wir bei der Firma Lubera halten uns strikt an die Gesetze, auch wenn wir sie für unsinnig halten. Wir halten viele Pflanzen, welche in der Schweiz verboten sind, für wertvoll: Nehmen wir zum Beispiel die Robinie (Robinia pseudoacacia). Bei uns ist dieser Baum de facto verboten, in Deutschland wurde sie zum Baum des Jahres 2020 gewählt, weil sie trockenheitsresistent ist. Buddleja, der Schmetterlingsflieder, gehört international zu den bei Menschen und Insekten beliebtesten Blütenpflanzen – bei uns ist er ebenfalls de facto verboten. Neophyten-Gegner sagen, unsere Insekten sind auf die Neophyten nicht angewiesen, jedoch auf die Pflanzen, die durch sie verdrängt werden. Was erwidern Sie? Wissen Sie, wo ich nach Vorträgen oder auch Veröffentlichungen zu diesem Thema den grössten Zuspruch bekomme? Von Imkern, deren Bienen in einer menschengemachten Umwelt häufig auf Neophyten Nahrung finden. Ein Beispiel? Das eben erwähnte Berufkraut ist vielleicht nicht bei Landwirten, dafür aber bei Imkern sehr beliebt. Sein Aufkommen hängt direkt mit der Ökologisierung der Landwirtschaft zusammen. Neophyten können aber auch die Nahrungskette von vielen Tieren und somit den Naturkreislauf stören. Vielleicht dazu etwas ganz Grundsätzliches: Wenn die Pflanzen nicht irgendwann die Fotosynthese gelernt hätten und aus dem Meer gestiegen wären, gäbe es weder Mensch noch Tier. Pflanzen sind immer gewandert, sonst hätten sie die Erde nicht bedeckt und für den Sauerstoff für tierisches und menschliches Leben gesorgt. Deshalb: Alle Pflanzen sind oder waren einmal Neophyten. In der Natur, deren Basis die Pflanzen darstellen, wird immer wieder angepasst. Es gesellt sich zusammen, was zusammenpasst. Das ist kein fixer Zustand, sondern ein dynamischer Prozess. Die Natur ist kein Museum. Zusammen mit den Neophyten gelangen Sporen, Larven und Eier von fremden Pilzen und Insekten in die heimisch Flora. Können diese keinen Schaden anrichten? Das ist doch gut so, weil es die Diversität fördert und zu neuen Kombinationen führt. Für alles – auch für die Diversität – gibt es einen Preis. Stellen Sie sich mal ein System vor, dass die Einwanderung von Pflanzen, Tieren, Insekten, Pilzen, Viren und Bakterien vollständig unterbindet. Sie gehen sogar so weit und sagen, Sie lieben Neophyten. Mehr als einheimische Pflanzen? Zunächst einmal gibt es keinen objektiven Grund, warum sogenannte einheimische Pflanzen besser sein sollten als ausländische Pflanzen. Schauen Sie sich doch um, wie sich unsere Umwelt nur in den letzten 50 Jahren verändert hat, und bedenken Sie dann noch die Klimaerwärmung! Ich liebe Pflanzen. Und ja, vielleicht liebe ich fremde Pflanzen noch ein bisschen mehr, weil sie helfen, uns und die Umwelt zu bereichern und am Leben zu erhalten. Sie sponsoren Pflanzentauschbörsen. Was unterscheiden diese Aktionen von den gängigen Eintauschbörsen? Also «gängig» sind die Eintauschbörsen nur in der Schweiz, wo man die Verfolgung und die Vernichtung ausländischer Pflanzen fast schon zur Staatsraison erklärt hat. In anderen Ländern kennt man das fast nicht. An den von uns gesponsorten Tauschbörsen tauschen Gärtner Pflanzen aus. Das führt zu mehr Diversität in den Gärten. Dies unterstützen wir mit einheimischen und ausländischen Pflanzenspenden im Wert von bis zu 1000 Franken. Wir liefern keine verbotenen Pflanzen. Finden Sie es ethisch verwerflich, Pflanzen zu vernichten und damit zu töten? Wenn wir überleben wollen, müssen wir Pflanzen töten, essen und auch jäten. Wir vermehren und kultivieren sie aber auch. Wir leben in einer Symbiose mit den Pflanzen. Wir überschreiten diese ethische Grenze dann, wenn wir Pflanzen systematisch verfolgen. Dies hat dann nicht nur Folgen für die Pflanzen, sondern vor allem auch für uns Menschen: Die Freiheit wird noch weniger.