Am Kreisgericht schuldig gesprochen: Bittere Pille für einen IV-Simulanten | W&O

17.05.2022

Am Kreisgericht schuldig gesprochen: Bittere Pille für einen IV-Simulanten

Das Kreisgericht in Mels spricht einen Sozialversicherungsbetrüger schuldig und ordnet eine Haftstrafe an. Zudem lässt es beim Täter rund 100'000 Franken Schwarzgeld einziehen und verhängt einen Landesverweis.

Von Reinhold Meier
aktualisiert am 28.02.2023
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Der Mittvierziger hatte nach Darstellung der Anklage über acht Jahre hinweg ein nahezu lückenloses Täuschungskonstrukt erfunden, um an IV-Leistungen und weitere Versicherungsgelder zu gelangen. Dies, wie es an Schranken hiess, um sich einen fürstlichen Lebensabend in seiner bosnischen Heimat zu gönnen. Doch daraus wird nichts. Eine spezialisierte Abteilung der St. Galler Staatsanwaltschaft kam ihm auf die Schliche. Nun sind nicht nur seine Pensionsträume futsch, sondern auch sein Einbürgerungsgesuch und viel Geld. Den rechtmässigen IV-Bezügern hat er derweil einen völlig unverdienten Imageschaden zugefügt. Seine Straftatserie begann nach zwölf Jahren Arbeit als Hauswart, indem er sukzessive mehr Leiden simulierte. Erstmals 2013 wurde ihm Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Später gab’s eine IV-Anmeldung zum Bezug von Integrationsmassnahmen und Rente. Danach folgte eine jahrelange Odyssee von Standortgesprächen, Einschätzungen, Attesten und Spitalaufenthalten.

Skifahren, Velofahren und ausgelassener Tanz an Silvester

Er machte namentlich «undifferenzierte Somatisierungsstörungen» geltend, aber auch Anspannung, Ohrendruck, Müdigkeit, Schweissausbrüche und Schwindel. Daneben führte er psychische Aspekte ins Feld wie Freud- und Perspektivlosigkeit sowie lebensverneinende Gedanken. So entstand ein kaskadenartiges Krankheitskonstrukt, auf das sich alle Beteiligten irgendwann gegenseitig abstützten und das sich schliesslich zum fixen Bild eines komplett Lebensuntüchtigen formierte. Im Einbürgerungsgespräch 2017 präsentierte sich der vermeintlich Malade hingegen motiviert und zugewandt. Er sprach konzentriert und angepasst über seine Hobbies Skifahren, Wandern, Velofahren und darüber, dass er mit seiner Frau alle Administrativaufgaben, namentlich die Steuererklärung, erledige. Auch sonst zeigte er sich im Privatleben sehr vital, sportlich und lebenstüchtig, wie die Anklage beweisen konnte. So nahm er an Anlässen teil, wurde an Silvester schon mal beim ausgelassenen Tanz nachts um halb drei beobachtet, reiste öfter in die Ferien, fuhr Ski, begab sich auf längere Wanderungen und Velotouren. Nebenbei bezog er 115'000 Franken Krankentaggelder. Bei seiner privaten Lebensversicherung hatte er derweil Beitragsfreiheit erwirkt und so weitere 13'000 Franken gespart. In einem Bankschliessfach bunkerte er zudem 97'000 Franken, die schwarz erarbeitet worden waren, wie es an Schranken hiess.

Saal unter Tränen verlassen

Der Auftritt des Beschuldigten im Gericht verlief denn auch je nach Sichtweise als «Showauftritt», wie der Staatsanwalt meinte, oder als Sinnbild eines seelisch Zerbrochenen, der bereits nach wenigen Minuten unter der «Last» der Eingangsfragen zusammenbrach und den Saal unter Tränen verlassen musste. Dabei stöhnte er, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und kündigte an, gar nichts mehr sagen zu wollen. Die Verteidigung forderte Freisprüche und stellte zahlreiche Beweisanträge zur Befragung der Ärzte. Die könnten sich ja wohl nicht alle miteinander irren, so der Tenor. Das Gericht hielt die vorliegenden Beweise jedoch für hinreichend und überzeugend. Es verhängte 24 Monate Haft, bedingt aufgeschoben bei zweijähriger Probezeit. Der Landesverweis gilt fünf Jahre und betrifft den gesamten Schengenraum. Das Schwarzgeld wird eingezogen und an die immensen Verfahrenskosten angerechnet. Die Klagen der Versicherungen werden auf den Zivilprozessweg verwiesen. Die Ehefrau des Verurteilten, die der Gehilfenschaft an dem Betrug angeklagt worden war, wird hingegen freigesprochen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.