Es ist süss wie Honig, bernsteinfarben und echt schweizerisch, und doch wenig beachtet – das Birnel. So manche kennen es wahrscheinlich nur noch aus der Küche der Grosseltern. Doch der Dicksaft aus Schweizer Mostbirnen hat nicht nur eine erstaunliche Geschichte, sondern steht bis heute für die Solidarität unter den Schweizerinnen und Schweizern.
Dies entspricht zudem auch der Geschichte des Birnels. Eine alkohollose Verwendung von Obst war auch 1932 das Anliegen des Bundes. Um dem steigenden Alkoholkonsum entgegenzuwirken, wurde es den Landwirten verboten Hochprozentiges aus Obst herzustellen. Anstelle von Schnaps wurde fortan mit staatlicher Förderung aus Mostbirnen Birnel hergestellt.
Birnel hilft von Armut betroffenen Familien
Seit den 1950er-Jahren sind Birnel und die Winterhilfe Schweiz eng miteinander verbunden. «Zunächst wurde das Birnel an armutsbetroffene Familien abgegeben, um die knappe Ernährung zu ergänzen», erklärt Monika Stampfli, Geschäftsführerin der Winterhilfe Schweiz. Aus diesem Grund haftete dem Birnel über lange Zeit der Beiname «Armeleute-Honig» an. Das hat sich im Laufe der Zeit jedoch verändert. Stampfli führt aus:Heute ist es nicht mehr notwendig, Familien mit Birnel zu beliefern.Bis 1998 hatte die Winterhilfe das exklusive Recht, um Birnel zu vertreiben. Mittlerweilen ist Birnel in zahlreichen Lebensmittelgeschäften erhältlich.
Birnel gerät mehr und mehr in Vergessenheit
Obwohl es glücklicherweise keinen Ernährungsnotstand mehr in der Schweiz gibt, hat das Birnel seinen festen Platz bei der Winterhilfe Schweiz behalten.Mit dem Verkauf von Birnel werden weiterhin Menschen unterstützt.Jeden Herbst organisiert die Winterhilfe Schweiz eine Birnel-Aktion. Dabei wird der Birnen-Honig an Interessierte verkauft und der Erlös kommt wiederum Hilfsprojekten zugute. Anstelle von Birnel werden heute allerdings Gutscheine für den Bezug von Lebensmitteln an von Armut betroffene Menschen abgegeben. Traditionellerweise wird die Winterhilfe dabei von Gemeinden aus der ganzen Deutschschweiz unterstützt. «Allerdings ist das Birnel in den vergangenen Jahren mehr und mehr in Vergessenheit geraten», stellt Monika Stampfli fest.
Gemeinden und Vereine unterstützen Winterhilfe
Was einst Normalität war, ist heute zur Ausnahme geworden. Denn das schwindende Interesse an Birnel zeigt sich auch bei der Anzahl Gemeinden, die im Herbst noch Birnel für die Winterhilfe vertrieben. Im Kanton St. Gallen sind es nur noch etwas mehr als zehn Gemeinden, die sich beteiligen. Viele Gemeinden der W&O-Region haben bereits ebenfalls vor Jahren den Vertrieb von Birnel in grösseren Mengen eingestellt. Der Grund dafür war meist die stark gesunkene Nachfrage aus der Bevölkerung. Allerdings gibt es auch bei uns noch Gemeinden, welche die Tradition weiterführen. Die Gemeinde Wildhaus-Alt St. Johann beispielsweise nimmt bereits seit über 15 Jahren an der Birnel-Aktion teil. Dabei werden im Durchschnitt jährlich rund 140 Kilogramm des Birnendicksafts abgegeben.Ein alkoholloser Verwendungszweck für Obst
Nebst den Gemeinden sind Vereine ein wichtiger Unterstützer der Birnel-Aktion. So auch der Blaukreuzverein aus Grabs. «Seit genau 40 Jahren unterstützen wir den Verkauf von Birnel», erklärt Andreas Stupp vom Blaukreuzverein. Stupp erinnert sich:Als wir damals unser Interesse beim Gemeindeschreiber kundtaten, meinte dieser nur, dass es das nicht brauche und wir mehr als die Hälfte wieder an Mitglieder verschenken müssten.Dies traf allerdings nie ein, zu Spitzenzeiten vertrieben sie über 1600 Kilogramm. Heute sind es laut Stupp noch zwischen 300 bis 400 Kilogramm. Besonders die alkoholfreie Verwertung von Obst machte das Birnel für den Verein attraktiv.
Birnel hat viele Vorteile gegenüber Industriezucker
Ausser Frage steht, dass der Konsum von Birnel weniger schädlich ist als derjenige von Alkohol. Allerdings relativiert Stampfli:Birnel ist kein Allheilmittel und per se nicht gesund.Es handle sich beim Birnen-Dicksaft schliesslich immer noch um ein Süssungsmittel. In einem Kilogramm Birnel sind rund 650 Gramm Fruchtzucker enthalten. Dennoch bietet das Birnel gegenüber dem Industriezucker viele Vorteile. «Birnel ist zu 100 Prozent naturbelassen und braucht zur Herstellung keine Zusatzstoffe», erklärt Monika Stampfli. Zudem könne man anstelle von Agavendicksaft, der von weither gebracht werden muss, Birnel als Alternative verwenden. Zum hohen Nährwert und den zahlreichen Mineralstoffen kommt hinzu, dass Birnel bei korrekter Lagerung unbeschränkt haltbar ist.