Am vergangenen Samstag zeigte die Theatergruppe spiel.bude ihre Produktion «72 Stunden. Eine Anklage». Zum zweiten und letzten Mal im Werdenberger Kleintheater Fabriggli. Die zehn spielenden jungen Erwachsenen hatten sich keine leichte Aufgabe gestellt, die sie aber mit Bravour meisterten.
Im vergangenen Dezember trafen sie sich zum ersten Mal. Von Bettina Bärtsch, ihrer Leiterin und Regisseurin, wurde ihnen im Laufe der Zeit verschiedene Bühnenstücke zur Auswahl vorgelegt. Eines davon widmete sich der Thematik des Femizides.
Fakt ist: Jeden dritten Tag wird in Deutschland sowie in Italien eine Frau von ihrem Ehemann, Ex-Partner, einem gekränkten Abgewiesenen, Bruder oder Sohn ermordet. In der Schweiz ist dies «nur» alle zwei Wochen der Fall. Diese erschreckende Tatsache veranlasste die Jungen dazu, mit Überzeugung und Motivation «72 Stunden. Eine Anklage» in Angriff zu nehmen.
Der Inspektor will verstehen
Die Ausgangslage ist so klar wie eindeutig. Eine junge Frau wird von ihrem Partner ermordet, der Täter auf frischer Tat ertappt. Opfer sowie der Täter aus gutem Haus sind im Dorf bekannt, die Sachlage eindeutig, die Meinungen gemacht. Doch dann taucht Inspektor Dohnal auf, mit grossem Können gespielt von Fabio Nater, der zum ersten Mal vor Publikum auf der Bühne stand.
Im Hintergrund läuft still eine Uhr, die von 72 Stunden rückwärts zählt. Der Inspektor stellt Fragen und beruft sich dabei auf ein Tagebuch der Ermordeten. Unangenehme Fragen, bohrend und scharfzüngig. Er will verstehen, will begreifen, was passiert ist, wie es dazu kommen konnte.
Dohnal trifft die Nachbarin, zwei junge, emanzipierte Frauen, den Polizisten und die Polizistin, den Herrn Politiker, die Anwältin der Ermordeten, den Pfarrer und die Journalistin. Er befragt eindringlich und recherchiert und vertieft.
Das System bot keinen Schutz
Man wusste davon. Niemand unternahm etwas gegen die Gewalt, die so offensichtlich war. Das System bot keinen Schutz, keiner half, alle schauten weg oder schütteten mit politischen Parolen oder medialen Schlagzeilen gar Benzin ins Feuer.
Jede suchte nach Ausflüchten, jeder nach Entschuldigungen. Inspektor Dohnal lädt alle zur Pressekonferenz ein, an der er die Ergebnisse seiner Recherchen präsentieren wird. Alle tauchen auf, nur der Inspektor fehlt. Zurückgelassen hat er das Tagebuch, das die Protagonisten finden. Es ist leer!
Nach anfänglichem gegenseitigem Beschuldigen erkennen die Anwesenden, dass das ganze System versagt hat, dass sie alle als Teil der Gesellschaft mittragen, was alle 72 Stunden zu einem Tod führt. Die Uhr im Hintergrund läuft ab. Ein Schrei. Und Schluss.
Wichtige Fragen und Fakten
Das Stück fasste verdichtet die Komplexität dieses Themas zusammen. Die gestellten Fragen und die vermittelten Fakten berührten das Publikum zutiefst.
Keiner konnte sich dem Bann dieser Geschichte entziehen und es folgten angeregte wie wichtige Gespräche an der Theaterbar: Welche Rolle spielt die Zivilgesellschaft, die Politik, die Justiz, die ausführende Exekutive, die Religion und die Medien auf allen Kanälen? Welche Rolle spielt jeder Einzelne von uns?
Niemanden liess diese Inszenierung kalt und mit Bestimmtheit wurde sie vom Publikum im Fabriggli in Gedanken mit nach Hause genommen und weiterdiskutiert.
Eine fantastische Leistung der Darstellenden
Die jungen Erwachsenen werden sich auf jeden Fall noch lange an dieses Stück erinnern, verlangte es doch alles von ihnen ab. Es war beeindruckend, mit welcher Sicherheit sie auf der Bühne standen.
Sie überzeugten inhaltlich, waren textsicher und spielten mit Seele und viel schauspielerischem Können.
Am Ende wurden sie vom Publikum mit Standing Ovations für ihren grossen Einsatz belohnt. Hoffentlich kann man von dieser Gruppe in Zukunft noch mehr solch eindrückliche Stücke sehen.