«Das waren jeweils meine Ferien» – ein ehemaliger Dragoner erinnert sich | W&O

10.06.2022

«Das waren jeweils meine Ferien» – ein ehemaliger Dragoner erinnert sich

Vor 50 Jahren wurde die Kavallerie in der Schweizer Armee abgeschafft. Der ehemalige Dragoner Ueli Leuener aus Sennwald erinnert sich.

Von corinne.hanselmann
aktualisiert am 28.02.2023
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Bizzarro – so hiess das Pferd, das Ueli Leuener 1969 gegen Ende der Rekrutenschule zum halben Preis vom Militär kaufen konnte. Dass man als Dragoner günstig an ein Reitpferd kommt, war einer der Gründe, warum sich der damals 20-Jährige überhaupt für die Rekrutenschule als Dragoner anmeldete. Zwar hatten Leueners zu Hause auf dem landwirtschaftlichen Betrieb zwei Freiberger für Feldarbeiten.
Aber ein Reitpferd hätte mein Vater nie gekauft.
Ab und zu durfte Ueli Leuener die Pferde eines Bekannten reiten. «Er hat mich dann auch auf die Idee gebracht, mich bei den Dragonern zu melden, als es ums Stellen ging.» Gesagt, getan. Der Hauptmann kam vorbei und kontrollierte, ob der Stall für die Unterbringung des «Eidgenoss» – so nannte man die Bundespferde der Dragoner – geeignet ist. Der Hauptmann stimmte zu und so rückte Ueli Leuener nach Aarau in die RS ein. Am Samstag, 11. Juni, gedenkt der Verband Ostschweizerischer Kavallerie- und Reitvereine (OKV) in Frauenfeld mit einem Anlass unter dem Motto «Was reitet munter über Feld ...» der Abschaffung der Kavallerie vor 50 Jahren.
 Die Freude an Pferden ist dem ehemaligen Dragoner bis heute geblieben.
Die Freude an Pferden ist dem ehemaligen Dragoner bis heute geblieben.
Bild: Corinne Hanselmann

In Rekrutenschule den halben Tag mit Pferden

Der 73-Jährige erinnert sich:
Das Schönste in der RS war, dass wir jeweils etwa den halben Tag mit den Pferden beschäftigt waren. So mussten wir nicht den ganzen Tag Schiess- und andere Übungen absolvieren.
Nach 17 Wochen RS kamen dann die jungen Pferde, welche die frisch ausgebildeten Dragoner ersteigern konnten. «Wenn mehrere dasselbe Pferd wollten, mussten wir auslosen.» Mit Bizzarro, einem deutschen Warmblutpferd, reiste Ueli Leuener nach zwei weiteren Ausbildungswochen zurück nach Sennwald. Dort setzte er das Pferd zu Hause auf dem Betrieb auch zum Holzen und Heuen ein. Daneben standen regelmässig Übungsstunden beim Reitclub Sennwald auf dem Programm. Denn die Dragoner waren verpflichtet, das Pferd zu pflegen und zu trainieren, um jederzeit für einen militärischen Einsatz bereit zu sein.
 Ueli Leuener nahm mit Bizzarro an Springkonkurrenzen teil.
Ueli Leuener nahm mit Bizzarro an Springkonkurrenzen teil.
Bild: PD
Ueli Leuener nahm auch an Springkonkurrenzen und Militarys in der Region zwischen Maienfeld und Diepoldsau teil. Den Weg dorthin bewältigte man damals nicht mit einem Pferdetransporter, sondern man ritt zum Veranstaltungsort und wieder nach Hause, «manchmal die ganze Nacht hindurch». Die Teilnehmer waren damals hauptsächlich Dragoner und noch kaum Frauen.

Nach Abschaffung wurden Dragoner umgeschult

Fortan ging es einmal jährlich zum Wiederholungskurs (WK) nach St. Gallen. «Wir luden die Pferde jeweils beim Bahnhof Salez in Bahnwaggons und gelangten so nach St. Gallen.» Drei WK besuchte Ueli Leuener noch als Dragoner in der Schwadron 21 – dann fällte das Parlament den schwerwiegenden Entscheid, 1972 die Kavallerie in der Schweizer Armee abzuschaffen.
 Dragoner aus der Region posierten nach dem letzten WK für ein Erinnerungsbild vor dem Schloss Werdenberg.
Dragoner aus der Region posierten nach dem letzten WK für ein Erinnerungsbild vor dem Schloss Werdenberg.
Bild: PD
Ueli Leuener fügte sich diesem Entscheid: «Was wollten wir auch anderes? Beispielsweise den Radfahrern erging es ja gleich.» Viele Dragoner taten aber ihren Unmut über die Abschaffung auf der Bahnfahrt in den Umschulungs-WK nach Bure JU kund. «Manche nahmen auf dieser Fahrt die Eisenbahnwagen fast auseinander», erinnert sich der Sennwalder. Die ehemaligen Dragoner wurden den Panzergrenadieren zugeteilt.
Dort mussten wir dann den ganzen Tag in die Panzer rein und raus springen, in den Schlamm, den ganzen Tag denselben ‹Seich› machen.

Gesang der Dragoner brachte Schwung in Alltag

Nach der Umschulung wurden jeweils zehn bis zwanzig Dragoner den verschiedenen Kompanien zugeteilt. «Wir Dragoner hatten stets einen sehr guten Zusammenhalt. Wir haben oft gemeinsam gesungen, ob in den Pausen oder zu Pferd», erzählt Leuener. Ein befreundeter «Pänzeler» habe ihm einmal erzählt, dass es ein ganz anderes Leben gewesen sei in den Wiederholungskursen, als die geselligen Dragoner zu den Panzertruppen stiessen und mit ihrem Gesang Schwung in den Alltag brachten. Geblieben ist dem ehemaligen Dragoner Ueli Leuener nach der Umschulung sein «Eidgenoss». Obwohl Bizzarro schon früh auf einem Auge erblindete, wurde er rund 20 oder 25 Jahre alt. «Die ganze Uniform und die Vollpackung fürs Pferd habe ich immer noch. Ich könnte morgen schon wieder einrücken», sagt Ueli Leuener und lacht.
 Auch an Hochzeiten fuhr Ueli Leuener mit seinem "Eidgenoss".
Auch an Hochzeiten fuhr Ueli Leuener mit seinem
Im selben Jahr, als die Kavallerie abgeschafft wurde, starb Ueli Leueners Vater. Der Sohn übernahm den landwirtschaftlichen Betrieb. Für das Turnierreiten und das Kutschefahren etwa an Hochzeiten blieb je länger je weniger Zeit.
Eine Weile setzte ich Bizzarro noch zum Heuen ein, aber es musste immer schneller gehen.
Traktoren und Maschinen nahmen schliesslich überhand.

Dank Militärdienst die halbe Schweiz entdeckt

Ueli Leuener erinnert sich gerne an die Zeit als Dragoner zurück. «Es war eine ganz schöne Zeit, auch gesellschaftlich. Wir Dragoner haben uns nicht nur im Dienst getroffen, sondern gingen auch privat zusammen reiten.» So verabredete man sich auch mal zu Ausritten mit den Dragonern in Altstätten und Oberriet, oder sie kamen nach Sennwald. «Ich ging gerne ins Militär – das waren meine Ferien», so Ueli Leuener. Ferien gab es auf dem Bauernbetrieb zu Hause sonst nicht.
Und aus Sennwald wäre ich auch kaum rausgekommen. Im Militär habe ich viele Orte in der Schweiz kennen lernen können.
 Ueli Leuener beim Military Chohlau in Weite.
Ueli Leuener beim Military Chohlau in Weite.
Bild: PD
Bis vor der Coronapandemie trafen sich die früheren Angehörigen der Schwadron 21 noch jährlich zu einer Versammlung. «Das waren immer noch gegen 100 Leute, darunter auch einige aus dem Werdenberg und dem Rheintal», erzählt Ueli Leuener. «Für diejenigen, die immer noch aktiv reiten, gab es sogar jeweils noch ein kleines Military-Turnier.» Geblieben ist ihm auch die Freude an Pferden.
Seit ich auf der Welt bin, sind immer Pferde auf unserem Betrieb gewesen, bis heute.
Zusammen mit Bizzarro hatte er einen Freiberger im Stall im Lögert. Später dann einen Muli und einen Haflinger, um Zaunmaterial zur Alp Wis zu säumen. Danach kamen erste Pensionspferde auf den Hof. Heute führt Sohn Daniel Leuener den Betrieb, ebenfalls mit Pensionspferden, und Vater Ueli hilft noch immer mit.