Das Postauto schlängelt sich Kurve um Kurve entlang des tosenden Flusses: Die Taminaschlucht in Bad Ragaz ist ein beliebtes Ausflugsziel. Jährlich besuchen über 60’000 Gäste die Schlucht. Die gut präparierte Kiesstrasse zum Alten Bad Pfäfers entlang schroffer Felsen vermittelt Sicherheit. Doch das täuscht. Für Wanderer und Besucherinnen beginnt hier ein Gelände, das Gefahren birgt.
Jedes Jahr von März bis Mai ist ein Team damit beschäftigt, die Strasse für die Gäste zu sichern. Eine anspruchsvolle und risikoreiche Arbeit, in welche die Verantwortlichen an einer Medienkonferenz am Mittwoch Einblick gegeben haben. Eingeladen hat der Kanton St.Gallen, der für den Strassenunterhalt verantwortlich ist.

Je nach Wetter und Schneemenge schreiten die Arbeiten schneller oder langsamer voran. «Wenn es nochmals viel geschneit hätte, wäre die Eröffnung am 3. Mai nicht realistisch gewesen», sagt Urs Kurath, Strasseninspektor beim Kanton St.Gallen.
Doch in diesem Jahr seien sie mit den Sicherungsarbeiten zwei Wochen früher fertig geworden als geplant. Derzeit werden noch die letzten Bänkli montiert, auch Holzräumungen stehen noch an, bis die Gäste am Samstag, 3. Mai, die Schlucht und das historische Bad wieder besuchen können.
Risikoanalyse nach tragischem Unfall
Steinschlag, abrutschendes Material oder Totholz können für Besucherinnen und Besucher gefährlich werden. Das machte ein tragischer Unfall im Sommer 2022 deutlich, als eine 42-jährige Frau und ihr sechsjähriger Sohn ums Leben kamen. Ein Baumstamm löste sich im oberen Teil der Felswand, fiel auf die Strasse und erfasste die beiden Personen.

2023 gab der Kanton St.Gallen eine Risikoanalyse in Auftrag. Sie zeigt, wie oft es Steinschlag auf den einzelnen Wegabschnitten gibt und in welcher Intensität dieser vorkommt. Die Analyse kam zum Schluss, dass das Risiko «in einem akzeptablen Rahmen liegt», sagt Markus Forrer von der Büro für Technische Geologie AG (BTG).
Nach Abwägen von Nutzen und Kosten habe man für einzelne Abschnitte Massnahmen getroffen, um das Risiko weiter zu reduzieren. Zum Beispiel, so Forrer, indem die Mitarbeitenden Auffangnetze montiert haben.
Doch das reiche nicht: Es brauche regelmässige Aufwendungen in der Schlucht. Die Schieferungsflächen des Gesteins entlang der Schlucht fallen gegen die Strasse ab. Das bedeutet: Wenn sich Gestein löst, fällt es auf die Strasse. Wind und Regen, aber auch Schnee sorgen dafür, dass die Schlucht in Bewegung bleibt.
Sprengungen und Arbeiten koordinieren
Die Arbeiten starten im März jeweils mit einer Erstbegehung: Das Team läuft die Strecke ab und definiert erste Schwerpunkte, sagt Strasseninspektor Kurath. Sind Sprengungen nötig? Das beurteilen die Experten zusammen mit Geologen.
Zentral sei die tägliche Koordination der Arbeiten, da jeweils 12 bis 15 Personen gleichzeitig im Gelände arbeiten und sich die Teams nicht gegenseitig gefährden sollen. Die Arbeiter entfernen zum Beispiel am Seil hängend mit einer Eisenstange loses Gestein vom Fels.

Der ordentliche Unterhalt der Zufahrtsstrasse zum Alten Bad Pfäfers und der Schlucht beläuft sich jedes Jahr auf 250’000 Franken. Hinzu kommen ausserordentliche Unterhaltsaufgaben, zum Beispiel zusätzliche Sicherungen durch Netze.

Auch die Forstarbeiten im Tobel seien risikoreiche und gefährliche Aufgaben, die Zeit brauchen, sagt Regionalförster Thomas Brandes. Bäume könnten zwar Material zusammenhalten, aber gleichzeitig zur Gefahr werden. Die Waldpflege sei deshalb zentral: Instabile oder schräg wachsende Bäume werden gefällt und der Wald aktiv verjüngt.
Verantwortliche wollen auf Gefahren hinweisen
Falls es in den Sommermonaten zu einem Steinschlag kommt, beurteilen Spezialisten die Situation neu. Drei Mal pro Woche gibt es Kontrollgänge durch die Schlucht. Immer wieder kann es aber auch während der Saison zu kurzfristigen Sperrungen kommen. Das ist für die Betreiber des Restaurants im Alten Bad Pfäfers eine Herausforderung.
Trotz aller Sicherungsarbeiten bleibt ein Restrisiko. «Eigenverantwortung» ist der Begriff, den Kurath und auch Geologe Forrer mehrfach erwähnen. Bei Wind und Regen sei die Chance grösser, dass sich Material lösen könne. Kurath empfiehlt, auch den Blick einmal nach oben zu richten. «Man hört die Steine wegen des Rauschens der Tamina oft nicht herunterfallen.»
Auf das Restrisiko wollen die Verantwortlichen aktiv hinweisen. Es gibt Warntafeln beim Eingang zur Schlucht: Es handle sich um einen alpinen Wanderweg. Auch online wird kommuniziert: Informationen zur aktuellen Situation können Besucherinnen und Besucher auf der Website des Kantons ebenfalls abrufen.

Nichtsdestotrotz: Die Quelle, an der das 36,5 Grad warme Wasser entspringt, zieht seit ihrer Entdeckung im Jahr 1240 Besucherinnen und Besucher an. Früher versprachen sich kranke Menschen vom wohltuenden Wasser Heilung. Auch heute noch ist die eindrückliche Schlucht ein Publikumsmagnet. Vor allem an heissen Sommertagen, wenn es zwischen den schmalen Felswänden schön kühl ist.