Die Chronik eines Abschieds: «Das Schreiben hat mir unendlich geholfen» | W&O

31.01.2023

Die Chronik eines Abschieds: «Das Schreiben hat mir unendlich geholfen»

Melitta Breznik las im Bistro auf Schloss Werdenberg aus ihrem Buch «Mutter. Chronik eines Abschieds».

Von Hanspeter Thurnherr
aktualisiert am 28.02.2023
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Als Geschenk bezeichnete Mirella Weingarten, Künstlerische Leiterin der Schlossmediale, dass sich der deutsche Journalist und Schriftsteller Andreas Schäfer am Freitagabend als Moderator und Gesprächspartner zur Verfügung stellte. Schäfer hat ein Buch über seinen Vater und die Trauerbewältigung nach dessen Tod geschrieben. Mit einfühlsamen Fragen und Bemerkungen dank guter Kenntnis des Buches von Melitta Breznik lenkte er das Gespräch auf viele spannende Aspekte.

Ärztin kam in Konflikt mit ihren verschiedenen Rollen

Melitta Breznik ist österreichisch-schweizerische Psychiatrieärztin und arbeitet heute in einer Rehabilitationsklinik in Scuol. Sie gab im Gespräch offen Einblick in die unterschiedlichen Gefühlswelten, die sie im Verlaufe des «Abschiednehmens» von ihrer Mutter erlebte. Schon öfter habe sie Menschen in der Klinik in den Tod begleitet. Aber die eigene Mutter – sie litt an Bauchspeicheldrüsenkrebs – zu pflegen und begleiten sei für sie als Ärztin, Pflegerin und Tochter schwierig gewesen und habe zu Konflikten mit der jeweiligen Rolle geführt. Im Gespräch gab sie eindrücklich Einblicke in die schwierige Familiengeschichte, die auch von Kriegserlebnissen der Mutter und des Vaters geprägt waren.

«Die Mutter ist mit grosser Würde den Weg gegangen»

Freimütig beschrieb sie auch das nicht einfache Verhältnis zur Mutter und zum Bruder – und die Veränderungen, welche durch die wochenlange Pflege und Begleitung in der Wahrnehmung geschahen. So sagte Melitta Breznik:
Die Mutter ist mit grosser Würde den Weg gegangen. Sie wirkte stark.
Zwischendurch las sie aus dem Buch. Darin zeigt sie sich als sensible, genaue Beobachterin, der es gelingt, das Beobachtete und ihre dabei entstehenden Gefühle eindrücklich und in einer einnehmenden, sanften, oft schon fast mystischen Sprache zu beschreiben. «Haben Sie damals schon gewusst, dass Sie darüber ein Buch schreiben?», fragte An­dreas Schäfer. Melitta Breznik verneint. Zwar habe sie immer Notizbuch und Laptop dabei und Zeit gehabt, das Erlebte nachzuschreiben und sich anders zu spüren: «Das Schreiben hat mir unendlich geholfen.»
 Allgemein lesbares Buch verfasst: Die Autorin bei ihrer Lesung im Schloss Werdenberg.
Allgemein lesbares Buch verfasst: Die Autorin bei ihrer Lesung im Schloss Werdenberg.
Bild: Hanspeter Thurnherr
Stilistisch wechselt Breznik in den Zeiten Gegenwart und Vergangenheit. «Ich wollte, dass das Buch allgemein lesbar wird: über den langsamen Prozess des Sterbens und Abschiednehmens.» «Hat sich Ihr Verhältnis zum Tod verändert?», fragte Schäfer. «Ich weiss es nicht, aber letztendlich hat mich dieses Zeit mit dem Tod auf andere, friedliche Art in Berührung gebracht. Wir waren oft traurig miteinander. Es war gut, die Gefühle zu zeigen.» Eine Frage aus dem Publikum: Welche Erfahrungen hat die Autorin in Bezug auf ihren Beruf gewonnen? «Ich bin vielleicht noch hellhöriger geworden im Umgang mit meinen Patienten und ihren Angehörigen. Ich biete heute vermehrt an, Angehörige zu begleiten. Wenn sie Angst haben, versuche ich ihnen Mut zu machen, mehr Sicherheit zu geben», sagte Breznik. Ihr Fazit:
Sterben ist ein Prozess, den man vielleicht gemacht haben sollte, aber Sterben ist nicht so einfach.