Die «Lindner Suisse» Manufaktur ist noch die einzige Holzwollefabrik der Schweiz | W&O

09.02.2023

Die «Lindner Suisse» Manufaktur ist noch die einzige Holzwollefabrik der Schweiz

Sehr erfolgreich auf dem Holzweg: Thomas Wildberger ist Geschäftsführer der 103-jährigen «Lindner Suisse» Holzwollemanufaktur in Wattwil.

Von Thomas Güntert
aktualisiert am 28.02.2023
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1920 gründete Karl Georg Lindner eine Holzwollefabrik. Von ursprünglich 25 solcher Schweizer Manufakturen konnte sich die «Lindner Suisse» im Laufe eines Jahrhunderts als einzige dem Trend vom Kunststoff widersetzen und ist heute erfolgreicher am Markt wie je zuvor. «Das 100- Jahr- Jubiläum, zu dem rund 500 Personen aus 25 Länder gekommen wären, mussten wir vor drei Jahren wegen der Corona-Pandemie absagen», sagt Thomas Wildberger, Geschäftsführer der «Lindner Suisse» Holzwollemanufaktur in Wattwil.

Start der Holzwolle-Produktion in Lichtensteig

Ende des 19. Jahrhunderts wanderte der ursprünglich deutsche Karl Friedrich Lindner aus den USA in die Schweiz ein und führte ein Transportgeschäft mit Brennholzhandel. Sein Sohn Karl Georg begann im Jahr 1920 in Lichtensteig mit der Produktion von Holzwolle.
 Das Endprodukt ist eine unbehandelte, staub- und splitterfreie Schweizer Holzwolle.
Das Endprodukt ist eine unbehandelte, staub- und splitterfreie Schweizer Holzwolle.
Rund 20 Jahre später stieg sein Sohn Karl Friedrich in der dritten Generation in das väterliche Unternehmen ein. Nach den schwierigen Kriegsjahren florierte das Geschäft Anfang der 1950-er Jahre insbesondere durch die Euterwolle, die von Karl Friedrich Lindner in aufwändigen Versuchen für die Euterreinigung entwickelt wurde. Weil der Standort für Produktion und Lager mittlerweile nicht mehr ausreichte, wurde im Jahr 1956 in Wattwil eine Sägerei gekauft, die Produktionskapazität vervierfacht und die Sägerei stillgelegt.

Der Konkurrenz einen Schritt voraus

Durch den maschinellen Einsatz konnten damals bei der Holzwolle schon die kurzen Fasern und der Staub ausgeschieden werden, wodurch man der Konkurrenz einen entscheidenden Schritt voraus war. Im Jahr 1962 entwickelte Lindner zudem ein spezielles Messersystem, mit dem die Holzfäden heute noch von 0,05 bis 0,25 Millimeter produziert werden. Nach dem Tod von Karl Friedrich Lindner im Jahr 1966 übernahm der Schwiegersohn Heinz Wildhaber den Betrieb. Drei Jahre später zerstörte ein Brand durch Blitzschlag einen Lagerschopf mit 200 Ster Holz. Schwierige Zeiten bahnten sich an, als der Kunststoff die Holzwolle im Verpackungsbereich grösstenteils ablöste.

Auf Innovation gesetzt und das Angebot erweitert

Die Firma Lindner setzte auf Innovation und erweiterte das Angebot fortlaufend mit besonderen Produktideen wie mit «Erdbeerwolle», Stopfmaterial für die bekannten «Steiff» Teddybären oder Wellnesskissen mit Holzwolle aus Mondholz. Im Jahr 1996 trat Thomas Wildberger in den Betrieb ein, den er im Jahr 2014 übernahm. Weil die Fläche für Lager und Produktion wie in den 1950er-Jahren wiederum nicht mehr ausreichte, wurde vor fünf Jahren eine 74 Meter lange und 25 Meter breite Lagerhalle gebaut.
 Thomas Wildberger leitet das Unternehmen seit 2014.
Thomas Wildberger leitet das Unternehmen seit 2014.
Trotz des vergleichsweise hohen Preises für Holzwolle überzeugt Lindner mit Funktion und Qualität auch den ausländischen Markt und exportiert mittlerweile in 30 Länder. Am einzigen Standort in Wattwil sind 12 Festangestellte, etwa 20 Menschen mit Beeinträchtigungen und je nach Bedarf einige Freelancer angestellt.

Solide Zusammenarbeit beim Holzeinkauf

Der Holzeinkäufer und Produktionsleiter Pascal Wäspi kauft jedes Jahr rund 2000 Kubikmeter durchforstetes Holz vom Winterschlag mit einem Durchmesser von 16 bis 38 Zentimeter. Im Umkreis von rund 60 Kilometern Luftlinie hat er etwa 40 regionale Lieferanten. «Bei mir kann sich jeder Bauer melden», sagt Wäspi und betont, dass er einen leicht höheren Preis wie die Sägewerke bezahlt. Primär werden Fichte, Föhre und Buche verwendet, zudem ein paar Exoten für spezielle Holzwolle wie beispielsweise für das Mondholzkissen, die vornehmlich aus Arve oder Wildkirsche hergestellt wird.
 Produktionsleiter Pascal Wäspi erklärt die Vorzüge der Holzwolle.
Produktionsleiter Pascal Wäspi erklärt die Vorzüge der Holzwolle.
Wildberger bemerkt, dass der Klimawandel auch vor seinem Geschäft nicht Halt macht und das Holz mittlerweile sehr unterschiedliche Qualitäten aufweist. Der Holzeinkauf im Kanton Schaffhausen musste aufgegeben werden, weil die Bäume dort zu schnell wachsen. Wildberger sagt:
Zwischen den Jahresringen gibt es bis zu einem halben Zentimeter Abstand. Da habe ich nur Staub, wenn wir das Holz hobeln.
Er betont, dass vor 100 Jahren die richtigen Hölzer auf die richtigen Böden gepflanzt wurden und es heute noch Fichtenstandorte gibt, wo man keinen Borkenkäfer kennt.

Maschinen aus den 1960er-Jahren

Nachdem das Holz früher von Hand geschält wurde, kommt heute eine mobile Schälmaschine zum Einsatz, die am Tag 600 Kubikmeter durchlässt. Für den Zuschnitt von meterlangen Holzrugeln werden in den Wintermonaten die Bergbauern aus der Region beschäftigt. Die Holzmenge ist zu klein, um alles voll zu automatisieren. Das Holz wird auf dem Firmenareal mindestens 18 Monate gelagert und luftgetrocknet. Dabei reduziert sich das Gewicht von einer Tonne pro Kubikmeter auf etwa 340 Kilogramm und die Holzfeuchte geht auf 13 Prozent zurück.
 Das Holz wird mindestens 18 Monate lang gelagert und luftgetrocknet, ehe es verarbeitet wird.
Das Holz wird mindestens 18 Monate lang gelagert und luftgetrocknet, ehe es verarbeitet wird.
Im Werk werden die Meterrugel mit einer Kappsäge auf 50 Zentimeter getrennt und je nach Einsatzbereich selektioniert. Die Herstellung von 180 verschiedenen Holzwollen erfolgt in zwei Produktionslinien mit jeweils vier Zerspanungsmaschinen, die je von einem Mitarbeiter bedient werden. Wildberger sagt:
Die Gerätschaften sind aus den 1960er-Jahren und werden immer wieder revidiert, weil es keine besseren gibt und sie immer noch auf eine Genauigkeit von fünf hundertstel Millimeter arbeiten.
Bei der Produktion wird fast alles verwertet. Aus der Rinde entsteht Rindenmulch, aus den kleinsten Reststücken Anzündhilfen und das Sägemehl wird von den Landwirten als Nistmaterial und Einstreu abgeholt.

Euterwolle wird in 28 Länder exportiert

«Im November waren wir in Hannover an der Messe Eurotier und haben insbesondere von gut ausgebildeten Jungbauern und -bäuerinnen für unsere ‹alte› Euterwolle viele positive Rückmeldungen bekommen», sagt der Geschäftsführer.
 Ein Mitarbeiter bedient gleichzeitig vier Produktionsmaschinen.
Ein Mitarbeiter bedient gleichzeitig vier Produktionsmaschinen.
Die spezielle Holzwolle hat in der Milchviehwirtschaft bezüglich der Euterhygiene eine bedeutende Rolle eingenommen. Für die Euterreinigung wird eine langfaserige, staub- und splitterfreie und weiche Holzwolle verwendet, die Dreck entfernt und Feuchtigkeit aufsaugt. Beim Reinigen der Euter von Kühen, Ziegen und Schafen wird durch die Stimulation der Zitzen der Milchfluss angeregt und dadurch die Melkzeit verkürzt. Die Euterwolle ist preislich konkurrenzlos und kann nach dem Gebrauch mit dem Mist biologisch abgebaut oder als Anzündhilfe verwendet werden. Wildberger, der das Spezialprodukt mittlerweile in 28 Länder mit Milchviehbeständen von 5 bis 1800 Tieren exportiert, sagt mit sichtlicher Freude:
Obwohl es immer mehr Melkroboter gibt, wachsen wir immer noch.

Vielfältiger Einsatz in der Landwirtschaft

Die Holzwolle kommt in der Landwirtschaft aber auch in anderen Bereichen zum Einsatz. In der Haustierhaltung wird sie wegen der staubfreien Handhabung, der grossen Saugfähigkeit und den geruchsbindenden Eigenschaften geschätzt. Zudem ist sie bei Kleinsäugern ein beliebtes Beschäftigungsmaterial. In der Pferdehaltung wird der staubfreien Holzwolle oft den Vorzug gegenüber pestizidbelastetem und verunreinigtem Stroh gegeben.
 Durch ein spezielles Zerspanungsverfahren wird Holzwolle produziert.
Durch ein spezielles Zerspanungsverfahren wird Holzwolle produziert.
Die Bäuerin verwendet die Holzwolle hingegen im Garten, wo durch eine spezielle Rohholzmischung mit ätherischen Ölen, Gerb- und Faserstoffen die Schnecken vertrieben werden. Zudem wird damit die Verschmutzung der Früchte, Schimmelbefall und das Aufkommen von Unkraut verhindert. Lindner stellt auch spezielle Holzwolle-Matten für die Begrünung, den Boden- und Erosionsschutz her. Wildberger verrät:
Das neuste Produkt ist noch in der Entwicklung.
Für die Grundnetze, für die in Europa überwiegend Kunststoffe eingesetzt werden, verwendet Lindner seit fünf Jahren aus ökologischen Gründen bereits Jutefäden aus Ostasien. Weil Jute sich massiv verteuert hat und Lieferengpässe auf den langen Transportwegen bestehen, soll der Rohstoff durch heimische Buchenholzfäden ersetzt werden. «Das neue Produkt für den Erosionsschutz kann in der Nachhaltigkeit nicht mehr getoppt werden», sagt der Geschäftsführer und Tüftler Thomas Wildberger.