Zehn Tage lang liess die 11. Schlossmediale, das Festival für Alte Musik, Neue Musik und audiovisuelle Kunst im Schloss Werdenberg den Wind des Jahresthemas durchs Schloss pfeifen und singen, flüstern und säuseln. 1181 Besucherinnen und Besucher kamen zu Konzerten und Performances, zu den zwei Schlossmediale-Aussenstellen in Heiden und in Chur sowie in die Ausstellung.
Dabei hörten sie den Wind als Atem und Orgelton, nahmen wahr, wie er als Klang in Blech- und Holzblasinstrumenten fuhr und Mühlenräder wirbelte, sie sahen, wie er an Saiten zerrte und fühlten, wie er kräftig über Bergrücken blies.
Viel Unerwartetes, darum kommt das Publikum
Mirella Weingarten, die künstlerische Leiterin von Schloss Werdenberg, freute sich: «Es hat mir unglaublich viel Spass gemacht, in den verschiedenen Konzerten und in der Ausstellung die Vielgestalt des Windes erfahrbar zu machen: vom fast lautlosen Stimmhauch des Ensemble thélème im Konzert ‹Windstill› bis zum infernalischen Donnergrollen des Trio Rumori Forti im Eröffnungskonzert.»
Auch Schlossleiter Thomas Gnägi zieht eine positive Bilanz: «Auf die Schlossmediale muss man sich einlassen und man weiss nie ganz genau, was einen erwartet. Doch gerade deshalb kommt unser treues Publikum während dieser zehn Tagen immer gern ins Schloss: Weil es am Ende der Festivals in jedem Jahr wieder etwas Einzigartiges erlebt hat.»
Im Fokus des Festivals stand diesmal der Schweizer Komponist Daniel Ott, dessen Markenzeichen es ist, der Musik in der Natur eine Heimat zu geben. Ott spürte dem Wind und der Natur mit dem Auftragswerk der Schlossmediale «Werdenberger Fragmente» nicht nur im gesamten Dachgeschoss des Schlosses nach, sondern auch hoch über dem Bodensee bei der Uraufführung seines «Seestücks» am Kaien in Heiden.
Für den Künstler im Fokus, Ban Lei, geboren 1990 in Shanghai, stehen die chinesischen Schriftzeichen für Holz/Klang und Wind/Wald für unzählige selbst entwickelte und selbst gebaute Holzinstrumente und Klangskulpturen, die im ganzen Schloss zu finden waren und zum Teil auch vom Publikum bespielt werden konnten.
«Singende Vögel» begeisterten das Publikum
Das Publikums-Highlight schlechthin waren Ban Leis 153 kleine «singende Vögel» die im ganzen Dachstock von der Decke hingen: Jeweils bestehend aus einem Blasebalg mit gestimmter Holzflöte, gaben sie, wenn gedrückt, täuschend echte, mal hohe, mal tiefere Vogeltöne von sich.
Beim Eröffnungskonzert am 26. Mai gab es in diesem Jahr «Wind und Wetter»: mit der japanischen Mundorgel Sho, einem Akkordeon und dem machtvollen Schlagwerk des Trio Rumori Forti des Zürcher Tonhalle Orchesters. Tags darauf konnte man in «Sturmhöhe» mit dem Sonar Quartett die «Werdenberger Fragmente» von Daniel Ott im ganzen Dachstock des Schlosses entdecken und sich später in Leoš Janáčeks Streichquartett Nr. 2 ganz den Stürmen der Leidenschaft hingeben.
Den Kampf der Sängerin Franziska Baumann und des Schlagzeugers Lucas Niggli gegen die wirbelnden Flügel einer Windmühle konnte das Publikum am 28. Mai in «Gegen die Windmühlen» miterleben.
Am Pfingstmontag ging es zur Uraufführung von Daniel Otts «Seestück» nach Heiden, hoch hinauf auf den Kaien, wo das Publikum den Berg hinab durchs frischgemähte Gras den Klängen der Musik folgte. Ein «Linder Wind» wehte am selben Abend dann im Gasthof Linde in Heiden, wo wiederum Texte von Robert Walser und Musik von Daniel Ott zu hören waren.
Improvisationen aus allen Windrichtungen
Der Mittwoch mit dem Quartetto Loco – dem Duo Bottasso aus Italien, dem spanischen Klarinettisten Oscar Antoli und dem Schweizer Cellisten Bo Wiget – sowie dem Tubisten Marc Unternährer brachte mit «Wirbelwinde» wunderbare Improvisationen aus allen Windrichtungen der Erde ins Schloss.
«Windstill» wurde es am Donnerstag mit Alter Musik von John Dowland und Neuer Musik von John Cage. Es spielte das Ensemble thélème, das mit Cages berühmtem Werk «4`33`» an diesem Abend auch die völlige Abwesenheit von Klang zelebrierte.
Am Freitag war Schlossmediale Open-Air im Schlosshof angesagt: Die französische Bandoneonistin Louise Jallu begeisterte das Publikum in «Les forces du vent» an einem warmen Sommerabend mit ihrer mal melancholischen, mal leidenschaftlichen Interpretation von Astor Piazzollas Tangos.
Die zweite Aussenstelle der Schlossmediale am Samstag führte die Besucherinnen und Besucher unter dem Titel «Ausser Atem» den magisch-schlichten Schutzbau des berühmten Bündner Architekten Peter Zumthor für die Ausgrabung der römischen Siedlung Curia Raetorum in Chur.
Im Zusammenspiel von Katharina Bäuml (Schalmei), Bertl Mütter (Posaune), Matthias Ziegler (Kontrabassflöte) sowie Peter Conradin Zumthor am Schlagzeug und der Butoh-Tänzerin Junko Wada, entspann sich ein einmaliger Abend voller musikalischer Poesie und unvergesslicher Bilder.
Aussergergewöhnliches Konzert zum Abschluss
Zum Abschluss am Sonntag, 4. Juni folgte ein weiteres, aussergewöhnlich Konzert: Die Capella de la Torre und der italienische Karateka Maurizio Castrucci verbanden in ihrem Gastspiel «Atmen» Renaissancemusik und Martial Arts zu einem feinsinnigen Zusammenspiel von Atem und Rhythmus, Ritual und Improvisation, von Kraft und Konzentration.
Der heiteren Seite der Alten Musik galt das Grande Finale «Durch den Wind» der Schlossmediale Werdenberg, ebenfalls bestritten von der Capella de la Torre mit viel holzbläserischem Temperament. Es war ein schwungvoller und würdiger Abschluss der 11. Schlossmediale Werdenberg.