Seit der Bund am 11. März entschieden hat, den Schutzstatus S für Geflüchtete aus der Ukraine zu aktivieren, können Kinder und Jugendliche ohne langwieriges Asylverfahren die Schule in der Schweiz besuchen. Dank einem «Glücksfall» und Selbstinitiative gelang es den Schulen Sennwald ohne finanzielle oder sonstige Hilfe vom Kanton einen Unterricht für Flüchtige aus der Ukraine zu organisieren.
Am 4. April startete der Unterricht der Lehrerin Alexandra Rathmann mit 18 Kindern und Jugendlichen im Alter von vier bis Jahren im temporär leer stehenden Kindergarten Salez. Bis zum Sommer haben sie dort ihr Klassenzimmer, danach braucht es einen neuen Ort.
Für die jüngeren Kinder bedeutet der Unterricht in der Ukraineklasse vorerst ein Stück Heimat. Sie können spielen und sich in der ihrer Muttersprache verständigen. Online-Unterricht ist für sie kein Thema.
Für die Jugendlichen erachten es die beiden als sinnvoller, wenn sie den Anschluss zum ukrainischen Unterricht behalten.
Prioritäten wechseln mit der Länge des Aufenthalts
Die Schulleiterin Eveline Solenthaler berichtet von Familien, die bereits entschieden haben, in der Schweiz zu bleiben. Ein Grossteil würde eine möglichst baldige Rückkehr in Betracht ziehen. Schulpräsidentin Laila Roduner sagt:Wenn Familien und deren Kinder definitiv in der Schweiz bleiben, kann man intensiviert auf die Integration in das Schweizer Schulsystem eingehen.«Die Prioritäten wechseln mit der Länge des Aufenthalts», fügt sie hinzu.
Vorausgesetzt sie reisen mit ihren Familien wieder aus.Soweit sei die Absicht der meisten Eltern der Kindern aber unbekannt, was die Schulen vor ihre grösste Herausforderung stellt. «Es ist Flexibilität bei der Planung gefordert», bemerkt die Schulratspräsidentin. Bald werde ein Elternabend stattfinden, wo man versucht sich der Problemstellung anzunähern.
Nicht das klassische Notensystem
Die Schulratspräsidentin beschreibt die Lehrerin, die ukrainisch, russisch, polnisch, englisch und deutsch spricht und zusätzlich ein Lehramtsstudium besitzt, als einen «Glücksfall». «Ohne sie wäre die Kommunikation mit den Kindern und den Eltern praktisch unmöglich», sagt Laila Roduner im Gespräch mit dem W&O. Alexandra Rathmann zeigt sich verständnisvoll «wenn es einen Tag mal nicht funktioniert und die gewünschte Leistung nicht erbracht wird.» Zur Motivation der Kinder und weil der Lernfortschritt nicht mit dem klassischen Notensystem gemessen wird, verteilt die Lehrerin «Bonussterne» zur Anerkennung guter Leistungen.Die Lehrerin erklärt: Ausgezeichnet werden Schülerinnen und Schüler, die mitmachen, die Lösung wissen oder sonst gut auffallen.
Der neue Beruf hat die Lehrerin verändert
Die Klasse arbeitet dabei auf ein gemeinsames Ziel hin. Mit 100 gesammelten Sternen dürfen die Kinder beispielsweise in die Badi. Allein beim Besuch des W&O konnten die Kinder bereits sieben Sterne ergattern. Vor der Ukraineklasse und nach ihrem Lehramtsstudium in der Ukraine hatte Alexandra Rathmann nie das Verlangen, Lehrerin zu sein. Seit Kriegsbeginn bietet die Lehrerin Übersetzungshilfe für Geflüchtete an.Jetzt passt alles, der Beruf hat mich ruhiger und strukturierter gemacht. Deshalb will ich mein ukrainisches Lehrdiplom in der Schweiz anerkennen lassen und den Beruf in Zukunft weiter ausüben.Alltag in der Ukraineklasse Es ist 8.05 Uhr, die Schülerinnen und Schüler trudeln nach und nach ins Klassenzimmer ein. Sie sitzen an den Tischen, die normalerweise für Kindergartenkinder gedacht sind. Die Zeit vergeht, die Kinder werden munter. Die Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 4 und 15 Jahren arbeiten an Dossiers mit der Aufschrift «Jahreszeit: Der Frühling». Darauf zu sehen sind die Blumenpracht und bunte Farben, welche typisch für die Jahreszeit sind. Es wird fleissig gearbeitet. Die Kinder unterhalten sich auf Ukrainisch und teils Russisch - auch mit der Lehrerin Alexandra Rathmann. Ein Schüler sucht in einem Raster voller Buchstaben nach Wörtern, ein anderer fragt in den Raum: «Der, die, das Frosch?» . Die Lehrerin, die ständig im Klassenzimmer herumgeht und nach den Kindern schaut, gibt Antwort. Die Kleinsten der Klasse sitzen zusammen an einem grossen Tisch. Sie malen grüne Enten und Häuser mit blauen Fassaden und roten Dächern. Die Stimmung ist locker, was den Kindern gut tut. Im oberen Stock, in einem separatem, ruhigen Zimmer, wartet ein Jugendlicher auf den Beginn seiner Online-biologiestunde. Wegen der Zeitverschiebung zwischen der Schweiz und der Ukraine fängt dieser erst kurz vor Mittag an. Er gibt mittels Übersetzungsapp zu verstehen, dass er die Wartezeit vor dem Unterricht nutzen würde, um sich vorzubereiten. Den Schülerinnen Katarina und Marta geht es an diesem Tag gut, Marijana hingegen antwortet mit «es geht». Den drei Mädchen gefällt es in der Schule, doch das frühe Aufstehen, da sind sie sich lautstark einig, fällt schwer. «Der Unterricht startet hier 15 Minuten früher als in der Ukraine», erklärt die Lehrerin augenzwinkernd. Die drei Schülerinnen kommen aus dörflichen Verhältnissen. Doch die Reaktion auf die Annahme, dass ein Schweizer Dorf des eines ukrainisches Dorf ähnlich sein könnte, hätte nicht eindeutiger ausfallen können: Die Kinnlade der achtjährigen Marta fällt im Schnellzugstempo nach unten. «Alles ist verschieden!» Marta möchte dereinst in einem Schönheitssalon arbeiten. In ihrer Freizeit singt und malt sie gerne. Die zwölfjährige Marijana malt ebenfalls gerne und ist kunstinteressiert. Die älteste unter den Mädchen, Katarina, spielt gerne mit Kindern und backt gerne Beerenkuchen. Es ist bald Mittag. Einzelne Kinder machen sich bereit. Laufend kommen Eltern an und holen sie ab. (mei)