Es ist ein bitterkalter Toggenburger Wintertag, an dem Ger Zevenbergen die schönste Frau trifft, die er je gesehen hat. Für die Skiferien ist er aus den Niederlanden in die Schweizer Berge nach Wildhaus gereist. Eine strenge Woche liegt hinter ihm: Jeden Tag besucht er die Skischule Wildhaus.
Am letzten Nachmittag trifft sich seine Skiklasse zum Abschiedsapéro. Und da erblickt Ger Zevenbergen, den in der Skischule alle Gerhard nennen, zum ersten Mal jenes Gesicht, das sich für immer in sein Gedächtnis brennen sollte.
Sanftes Lächeln und blondes Haar
Es ist das Gesicht einer anderen Skischülerin, eine Woche verbrachte der Niederländer neben ihr auf der Piste. Wirklich gesehen hat er sie bis zu diesem letzten Tag wegen der eisigen Kälte aber nie: Stets trug die Frau eine Skibrille, einen Schal und eine Mütze. Bis jetzt.Was dann folgt, klingt nach Hollywood. Sein Blick begegnet ihren strahlenden Augen, und der Niederländer zittert am ganzen Körper, weil er diese Frau mit dem sanften Lächeln und den blonden Haaren so wunderschön findet. Als sie sich kurz darauf zu ihm an den Tisch setzt und immer wieder zärtlich seine Hände berührt, bleibt die Welt um das Paar stehen.
Der 88-Jährige will sein Versprechen einlösen
An diesem Nachmittag verspricht Zevenbergen der Frau, am Abend auf dem Abschlussball im Hotel Hirschen mit ihr zu tanzen. Einlösen wird er dieses Versprechen nicht. Und das bereut er immer noch. 50 Jahre später sucht der Niederländer mit einem Zeitungsinserat im «Toggenburger Tagblatt» nach dieser Frau. Als er sie traf, war er Mitte 30. Nun, mit 88, möchte er sich bei ihr für sein Versäumnis entschuldigen. Und er will sein Versprechen einlösen. Er sagt:Ich möchte sie um jenen Tanz im Hotel Hirschen bitten, zu dem es damals nicht kam.Dafür würde der Rentner noch einmal aus den Niederlanden ins Toggenburg nach Wildhaus reisen. Das Inserat des Niederländers Ger Zevenbergen wird demnächst in der Zeitung erscheinen:
Eine schwierige Suche
Ger Zevenbergen lebt in Oud-Bejerland, einem Ort südwestlich von Rotterdam. Am Telefon erzählt er, was vor über 50 Jahren geschehen ist. Sein Telefon ist auf Lautsprecher, neben ihm sitzt ein Bekannter und übersetzt seine Worte. Zevenbergen spricht nämlich kein Deutsch. Und das ist auch der Grund, weshalb er nur wenig über die Frau von damals weiss und die Suche nach ihr so schwierig ist. Er sagt:Wir konnten uns nicht gut mit Worten verständigen und redeten nur wenig miteinander.Weder Namen noch Adressen oder Telefonnummern tauschen die beiden an jenem Apéro aus. Trotzdem ist es für Zevenbergen Liebe auf den ersten Blick. Er erinnert sich:
Das Weltliche zählte nicht, nur die Liebe.Die Nähe, welche die beiden an dem Nachmittag fühlen, entsteht durch zärtliche Blicke und sanfte Berührungen. Mit der Hilfe seines Schwagers, der Deutsch spricht und übersetzt, verabredet sich Zevenbergen für den Ball am Abend – obwohl er weiss, dass das eigentlich falsch ist.
Mit der Hilfe des Schwagers, diese Worte sagen eigentlich schon alles. Zevenbergen ist damals nämlich verheiratet. Auch seine Frau verbringt die Skiferien in Wildhaus. Anstelle der Skiklasse besucht sie aber die Langlaufklasse, weshalb sie am Apéro auch nicht dabei ist. «Ich hätte der schönen Dame gestehen sollen, dass ich verheiratet bin, aber ich konnte nicht», so der 88-Jährige. Statt der Wahrheit sagt der junge Zevenbergen Ja zu einem Tanz.
Ein verliebter Mann verliert den Mut
Ob seine Frau unterbewusst etwas ahnt? So genau weiss das Zevenbergen nicht. Auf jeden Fall besteht diese am Abend darauf, ihn auf den Ball zu begleiten. Und mit seiner Frau an seiner Seite verlässt den jungen Mann der Mut. Er erzählt:Als wir auf dem Ball ankamen, ignorierte ich die wunderschöne, junge Dame. Irgendwann hatte sie genug.Er beobachtet, wie sie das Fest verlässt. Es ist das letzte Mal, dass er sie sieht. Am nächsten Tag treten er und seine Frau die Heimreise an. Zevenbergen mit gebrochenem Herzen. Er sagt:
Ich hatte schweren Liebeskummer. Ich konnte sogar eine Woche lang nicht arbeiten.
Die Arbeit verdrängt die Erinnerung
Der Niederländer besitzt in der Heimat eine grosse Gärtnerei. Schon bald holt ihn der Alltag wieder ein, schliesslich trägt der Unternehmer die Verantwortung für viele Angestellte. Die Jahre verstreichen, Zevenbergen und seine Frau, sie haben keine Kinder, leben für ihre Arbeit. Die Skiferien und der Liebeskummer werden zur Erinnerung, über die Zevenbergen gegenüber seiner Frau nie auch nur ein Wort verliert. Er sagt:Ich konnte die Begegnung mit der Liebe meines Lebens gut verdrängen.
Durch einen Song im Radio kam alles wieder hoch
Erst als er vor einem Jahr ein niederländisches Lied im Radio hört, kommt alles wieder hoch. Inzwischen ist er verwitwet, seine Frau ist fünf Jahre zuvor verstorben. Das Lied trägt den Titel «Warum, warum hast du mich verlassen? Was habe ich dir angetan?». So übersetzt es zumindest Zevenbergens Bekannter am Telefon. Und Zevenbergen sagt:Plötzlich ging mir nicht mehr aus dem Kopf, dass ich diese wunderschöne Frau damals einfach sitzengelassen habe.Schon seit einem Jahr versucht der alte Mann nun, diese Liebe zu finden. Sogar Fernsehsendungen, die nach Vermissten suchen, hat er seine Geschichte geschickt. Seine letzte Hoffnung ist das Zeitungsinserat im «Toggenburger Tagblatt». Der 88-Jährige weiss, dass seine Chancen eher klein sind. Einfach loslassen kann er nicht. Zu gross ist der Wunsch, sich endlich zu entschuldigen. Kommt Ihnen diese Geschichte bekannt vor? Erkennen Sie sich sogar wieder? Dann schreiben Sie uns: redaktion@wundo.ch.