Eine «Premiumerscheinung» in Widnau: Keel baut ein Haus mit Hanf und Lehm | W&O

24.09.2022

Eine «Premiumerscheinung» in Widnau: Keel baut ein Haus mit Hanf und Lehm

Der Altstätter Andy Keel baut in Widnau ein Mehrfamilienhaus, das mehr Energie abgibt, als es aufnimmt. Es ist ein Plusenergiehaus, sieht aber nicht wie eines aus.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 28.02.2023
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Das Projekt ist nicht nur nach Schweizer Massstäben eine Besonderheit, sondern dürfte generell «ein grosser Wurf» sein, wie Andy Keel bemerkt. Das für Widnau geplante Gebäude erreicht bereits heute die Pariser Klimaziele 2050 und unterscheidet sich von den wenigen bereits bestehenden Plusenergiehäusern schon durch sein Aussehen. Andy Keel spricht von einer «Premiumerscheinung» und zieht einen Vergleich mit Tesla. Die Klimafreundlichkeit des Widnauer Plusenergiehauses sei diesem genauso wenig anzusehen wie einem Tesla-Fahrzeug der Elektroantrieb. Das Gebäude sei zum Beispiel nicht mit Solarzellen in der Fassade bestückt, sondern brilliere unter anderem dank besonderer Baustoffe mit inneren Werten.

«Möchte hundert solche Häuser bauen»

Seit zehn Jahren betreibt der ehemalige Banker im Altstätter Industriegebiet Baffles eine Betonmanufaktur – seit 2016 CO2-neutral. Wer einen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems leisten wolle, habe zwei Möglichkeiten, sagt Andy Keel: in die Politik zu gehen oder selbst etwas zu tun, sei es privat oder als Unternehmer. Ihn freut, dass mehr und mehr Firmen das Thema ernst nehmen und beispielsweise der Beton mit Elektromischern geliefert wird. Das Ziel des 43-Jährigen ist es, bis zu seiner Pensionierung «noch hundert vorbildliche Plusenergiehäuser» zu bauen und eine möglichst grosse Breitenwirkung zu entfalten.
 Für das Widnauer Haus, sagt Andy Keel, werde ein Drittel der inländischen Hanfernte benötigt.
Für das Widnauer Haus, sagt Andy Keel, werde ein Drittel der inländischen Hanfernte benötigt.
Bild: PD
In Zukunft wird es Keels Einschätzung nach darum gehen müssen, weitere geeignete CO2-negative Baustoffe zu finden. Er selbst wählte für das Haus in Widnau einen Holzelementbau mit Hanfbetondämmung und nicht tragenden Hanfziegel-Innenwänden. Hanf hat einen hohen Isolationswert und ist feuerfest, ist aber statisch nicht einsetzbar und derzeit nicht in ausreichenden Mengen verfügbar. Für das Widnauer Haus, sagt Andy Keel, werde ein Drittel der inländischen Hanfernte benötigt.

CO2-neutrale Stoffe genügen nicht

In den Decken werden mehrere hundert Kubikmeter Lehm enthalten sein, für den massiven Treppenhauskern wird CO2-neutraler Beton verwendet. Ein Kilo der dem Beton beigemischten Pflanzenkohle (Biochar) bindet drei Kilo CO2. Damit sich CO2-positive Materialien wie Glas, Beton oder die Emissionen beim Aushub ausgleichen lassen, genügt die Verwendung CO2-neutraler Baustoffe nicht, sondern ist zwingend auf CO2-negative Alternativen zu setzen. Vor seinem geistigen Auge hat Keel immer die CO2-Bilanz. Er fügt hinzu: «Und für die Trittschalldämmung dient CO2-negativer Kork.» Die Bauherrschaft ist eine Erbengemeinschaft. Für den Bau des besonderen Mehrfamilienhauses hat sie eine Firma gegründet, die von Andy Keel geleitet wird. Er selbst hat die Dade Development AG gegründet. Diese Firma erstellt und unterhält die Fotovoltaikanlage (inkl. Heizung und Batteriespeicher) auf dem Dach. Um Weihnachten soll mit dem Bau begonnen werden, der Bezug der insgesamt 17 Wohnungen ist für Ende nächstes, Anfang übernächstes Jahr geplant.

Anders als früher stimmt diesmal das Timing

Andy Keel war früher als Banker tätig und hat mit seiner gut zehnjährigen Betonmanufaktur mehrere Serien von Waschtischen und Kleinmöbeln zusammen mit externen Designern gestaltet und in die Serienproduktion überführt. Seit 2017 kann die Betonmanufaktur komplette Innenausbauprojekte übernehmen und In- und Outdoorküchen aus einer Hand anbieten. Dade-Design mit seinen knapp zwei Dutzend Teilzeitmitarbeitenden wurde so zum Ansprechpartner für Architekten. Das Widnauer Plusenergiegebäude verwirklicht Andy Keel mit dem Architekturbüro Baumschlager Eberle. Mit dem Projekt startete der Altstätter vor der Energiekrise, was insofern mutig war, als der Wunsch nach CO2-neutralem Wohnen noch deutlich weniger ausgeprägt war als jetzt. «Für diesmal stimmt das Timing», sagt Andy Keel lachend und ein wenig selbstironisch. Bei Start-ups, die er in jungen Jahren gegründet hatte, war das Timing nicht ausnahmslos ideal. Nun hat sogar eine für Keel wichtige Firma in Maienfeld eben erst eine wichtige Anlage in Betrieb genommen – seine Pflanzenkohle-Lieferantin.

«Das Vorhandene richtig zusammensetzen»

Für den Bau von Plusenergiehäusern sei alles da, sagt Andy Keel, das Spannende sei, alles richtig zusammen- und einzusetzen. Das geht bis zum Chip hinter jeder einzelnen Steckdose bzw. bis zur selbst zu programmierenden Steuerungsapp für das Haus sowie für eine Hausbewohnerapp. Die Fenster sind mit automatisch gesteuerten Lüftungsklappen ausgestattet und die Holzfassade wird durch eine hinterlüftete Holzlattung mit Witterungsschutz gebildet. Am Plusenergie-Mehrfamilienhaus ist bis ins kleinste Detail alles wohldurchdacht.