Christian Büchels Gesangsstudio kann man nicht verfehlen. «SING» steht in grossen Metalllettern an der Hausfassade seines Hauses in Buchs. Daneben, an der Wand des zum Musikstudio umgebauten Veloraums, ist eine goldene Metallkette montiert, die zweimal so gedreht wurde, dass sich drei verbundene Kreise bilden.
Dieses Logo ist kein Zufall, ebenso wenig wie die darunter stehende Wortkreation «Amavox», welche für «liebt die Stimme» steht. Hier unterrichtet Büchel seit vielen Jahren Schülerinnen und Schüler nach seiner selbst entwickelte Technik Amavox.
Schon seit seinem Hochschulabschluss sei er auf der Suche nach der perfekten Gesangstechnik, sagt Büchel. Antworten fand er allerdings nicht nur im klassischen Gesang. «Das macht rückblickend auch Sinn. In der Klassik ist man völlig versessen darauf, dass alles schön anzusehen und anzuhören ist.» Dabei müssten Übungen doch vor allem nützlich sein, findet Büchel.
Nach vielen Jahren als Gesangscoach, Sänger und Musiklehrer zog es Büchel 2015 schliesslich ins Herz der Popindustrie nach Nashville in den USA. Beim Gesangstrainer Brett Manning, der mit seinem Singing-Success-Gesangssystem unter anderem auch Taylor Swift coachte, liess er sich zum Popstimmbildner ausbilden.
Was Babys schon können und Erwachsene verlernen
Die drei Kreise an der Hauswand symbolisieren die Grundidee der Technik: Der linke Kreis steht für die linke, kognitive Gehirnhälfte und die Bruststimme, der rechte für die andere, kreative Gehirnhälfte und die Kopfstimme. Der Kreis in der Mitte symbolisiert das perfekte Zusammenspiel der beiden Seiten. Büchel nennt es den «Cry» (engl. Schrei, Weinen). «Er ist ein Mix aus der Kopf- und Bruststimme, den wir Erwachsenen oftmals verlernt haben. Dabei beherrscht ihn jedes Baby bei seinem aller ersten Schrei», sagt Büchel und zückt sein iPad. Er spielt den ersten Schrei seiner Tochter vor, den er bei ihrer Geburt aufgenommen hat. Nach nur wenigen Sekunden der Audioaufnahme tippt Büchel bereits wieder aufgeregt auf seinem Gerät herum. Dann zeigt er ein Video, in welchem er seiner Enkelin leise vorsingt. Das kaum zweimonatige Mädchen macht die «Aah»- und «Uuh»-Melodien Büchels angestrengt nach. Dabei trifft es die Töne beeindruckend genau. Büchel sagt:Ist das nicht faszinierend? Meine Enkelin hat noch nicht die Kraft, um ihren Kopf zu heben, aber sie hat die innere Muskulatur, um genau jene Töne zu singen, mit denen grosse Sänger wegen eines angespannten Muskels teilweise Probleme haben.
Papa-Stolz wegen Marius Bear
Die St.Galler Newcomerin Joya Marleen, der Theaterschauspieler Erich Vock, die Moderatorin Sandra Studer und der Appenzeller Musiker Marius Bear – sie alle waren schon bei ihm im Unterricht. Letzterer hatte einen 10er-Block Singlektionen gebucht. Büchel sagt:Marius Bear hat seit 2017 immer mal wieder einzelne Lektionen genommen, wenn er das Gefühl hatte, er komme allein gerade nicht weiter.Zuletzt habe der Appenzeller Musiker für seinen Song «Boys Do Cry» bei ihm vor allem an seinen leisen, zarten Tönen gearbeitet. Dass sein ehemaliger Schüler nun mit eben jenem Lied für die Schweiz am Eurovision Song Contest singen wird, erfülle ihn extrem mit Papa-Stolz. https://www.youtube.com/watch?v=EnsqrM40uaY&t=22s
Lange Suche nach der optimalen Gesangstechnik
Büchel setzt zu einem hohen C an, das wie ein Babyschrei tönt. Dabei verzieht er das Gesicht und streckt die Zunge heraus. Auch das ist kein Zufall. Mit diesem «Cry» trainierte er auch die innere Stimmmuskulatur von Marius Bear. Das Herausstrecken der Zunge sei bei der Übung hilfreich. «Es klingt zwar nicht schön, aber so bekommt man ein Gefühl für die Mischung aus Kopf- und Bruststimme», sagt Büchel. Dann folgen weitere, für den Laien lustig klingende Laute – «Schhh», «Uuuh», «Mieaou».Weg mit den Vorurteilen gegenüber dem Pop
Büchel glaubt, dass man in der Klassik auf die Pop-Branche herabblickt. Gespräche mit anderen Sängerinnen und Sängern aus verschiedenen Musikrichtungen in den USA liessen ihn seine eigenen Vorurteile aber vergessen:Wenn du eine noch unbekannte Countrysängerin kennen lernst, die einen grösseren Stimmumfang hat als jede Sängerin, die du kennst, kannst du gar nicht anders als zu flehen: Bitte, bring mir bei, wie du das machst!Zurück in der Schweiz entwickelte er das Gelernte schliesslich zusammen mit seinem Wissen aus der Klassik zur eigenen Amavox-Gesangstechnik weiter. Die Optimierung seiner Technik ist für den klassischen Sänger und Musiklehrer aber noch lange nicht zu Ende:
Dank der Fragen meiner Schülerinnen und Schüler weiss ich, wenn etwas noch nicht perfekt verständlich ist und deshalb auch noch nicht optimal trainiert werden kann.