Matthias Hüppi wirkt zufrieden, als er am Freitagabend am Zürcher HB den Zug mit Endstation St. Gallen besteigt. Etwas müde vielleicht, aber glücklich. Sein Verein – und dessen Anhang – haben drei aufregende Tage hinter sich.
Um die Qualifikation für die Conference League geht es in diesen Wochen, der FC St. Gallen ist nach Platz fünf in der letzten Saison zurück im Europacup.
Der Gegner in der zweiten Qualirunde heisst Tobol Kostanay. Hierzulande ist dieser Verein bekannt, warf er doch vor einem Jahr den FC Basel aus dem Rennen um die Teilnahme an der Conference League.
Dem FCSG sollte dies nicht passieren, er erhält in Kasachstan mit einem 1:0-Sieg die Chance aufrecht, an der Gruppenphase teilnehmen zu können. Der nächste Gegner heisst nun WKS Śląsk und stammt aus der polnischen Grossstadt Wrocław.
Ein Charter, aufgefüllt mit den treusten Fans
Rund fünf Prozent der Landfläche Kasachstans liegen in Europa. Kostanay nicht, es liegt in Zentralasien. Wie ist eine solche Destination am besten zu erreichen?
Der FC St. Gallen organisierte einen Charterflug; Linienflüge sind mit Umstiegen und langen Wartezeiten verbunden. Mit einer usbekischen Airline geht’s los, ein Weg fünf bis sechs Stunden, insgesamt rund 8000 Kilometer. Dies, weil die Herkunft der Fluggesellschaft den Vorteil bringt, den russischen Luftraum nutzen zu dürfen, was die Flugzeit verkürzt.
Diese komfortable Verbindung ist nicht der Mannschaft und dem Staff vorbehalten, auch die Fans dürfen mitreisen. Gut 80 sind es, die den Charter gebucht haben. Mit den auf eigene Faust angereisten sind es rund 130, die Kostanays Zentralstadion mit Stimmung erfüllen.
Die Atmosphäre im Flug, während dem alle mit jeder Menge Essen verwöhnt werden, ist gelöst. Ein wenig angespannt ist sie aber doch: In Kostanay war auch von den Fans noch niemand und die Neugier ist riesig.
Alternative Reisewege und Fleischspiesse zum Bier
Die meisten Fans wollen neben Hotel, Pub und Stadion auch die Stadt sehen. Diese wurde 1879 gegründet – wie der FC St. Gallen. Das gibt Sympathiepunkte.
Doch in der Stadt am Fluss Tobol ist nicht viel los. Sie ist eine rechtwinklig angelegte Planstadt, der es an historischer Bausubstanz fehlt. Einen Altstadtkern sucht man vergeblich.
Dafür gibt es den Siegespark, in dem der sowjetische Sieg im Zweiten Weltkrieg und Kostanays Beitrag dazu gefeiert werden. Zur Schau stehen eine Statue von Lenin und viele Panzer. Das wirkt auf Westeuropäer etwas absurd, ist aber ein wichtiges historisches Zeugnis.
Ganz in der Nähe befindet sich das Chechil Pub, Treffpunkt der St.-Gallen-Fans. Sie erzählen von der Anreise; eine Gruppe ist in die Hauptstadt Astana geflogen und danach mit einem Minibus neun Stunden nach Kostanay gefahren.
Ein Fan verlängert den Aufenthalt in Zentralasien und reist nach dem Spiel weiter nach Usbekistan. Die St. Galler geniessen das Bier; zu jedem bestellten Drei-Liter-Zapfgerät gibt es einen Teller mundender Fleischspiesse. In der Beiz wird gesungen, die Vorfreude auf das Spiel zelebriert. Und der Beizer macht den Umsatz seines Lebens.
Später geht’s im Marsch zum Stadion, beobachtet von neugierigen Einheimischen. Der Journalist bleibt noch im Pub, geht später nochmals in den Siegespark.
Dort sammeln sich die Tobol-Fans. Einer sagt:
Es ist ja sensationell, wie viele Gästefans hier sind, das haben wir wirklich noch nie erlebt.
Die Fans der Kasachen sind herzlich, offen. Nach dem Spiel will ein junger Bub ein Selfie mit mir machen, ich lasse es zu, halte meine Kamera aber ebenfalls hin, es ist auch für mich ein Souvenir.
Ein souveräner Auftritt und eine richtige Käferplage
Bricht die Dunkelheit an, übernehmen in Kostanay die Hirschkäfer die Stadt. Die schwarzen Tierchen sind so zahlreich, dass der Ausdruck «Plage» nicht verfehlt ist. Doch das ist unwichtig, wichtig ist das Spiel, das die Fans aus der Ostschweiz mit grünen Ballons «einläuten».
Die Ausgangslage ist hervorragend, nach dem 4:1-Sieg im Hinspiel dürfte nichts mehr anbrennen. Und der FC St. Gallen agiert äusserst souverän. Den Kasachen gelingt es nicht, das angestrebte frühe Tor zu erzielen, die Abwehr steht sicher
In der Offensive bemühen sich die Grün-Weissen aber nicht zu sehr – es geht auch darum, in diesen anstrengenden Wochen Kräfte einzuteilen. So entwickelt sich ein ereignisarmes Spiel. Entschieden wird es durch das Tor von Atalanta-Leihgabe Moustapha Cissé in der 73. Minute, er trifft erstmals für St. Gallen.
Hitzig wird es in der letzten Minute, in der Beibit Galym den St. Galler Felix Mambimbi rücksichtslos umsäbelt und dafür die rote Karte sieht.
Europacupspiele mit besonderem Stellenwert
Am Tag darauf herrscht nach wilden Partys in den Hotels Katerstimmung. Sie ist aber positiv: Der FCSG hat sich mindestens einen weiteren Auftritt auf europäischer Bühne gesichert.
Europacupspiele haben in einer Fangemeinde, die solche selten erlebt, einen besonderen, einen hohen Stellenwert. Das dokumentiert die Anzahl Fans, die nach Kasachstan gereist sind – aber auch die 11383 vom Hinspiel, das mitten in die Sommerferien fiel. Gegen die Polen von Śląsk dürfte alles noch ein bisschen grösser werden.