https://vimeo.com/787922377
Noch stickt die Saurer 1040 der Familie Sonderegger in Sennwald. Letzte Aufträge werden fertiggestellt. Diese Woche wird auch diese letzte Maschine der Jakob Sonderegger AG zum Stillstand kommen. Jakob (66) und Selina (64) Sonderegger haben das Pensionsalter erreicht. Sie schliessen den Betrieb, der im Zentrum von Sennwald im Gebiet Läui liegt. Die Liegenschaft haben sie vor wenigen Wochen verkauft.
Drei Generationen arbeiteten hier. «Mein Grossvater hat 1944 mit zwei Stickmaschinen angefangen», erzählt Jakob Sonderegger junior. Gestickt wurde stets «die ‹hundskommune› St. Galler Stickerei». Damit sei man gross geworden.
Mit dem Verschwinden der Lohnstickereien verliert ein Industriezweig, der einst der Lebensnerv der ganzen Region war, immer mehr an Bedeutung.
Die Jakob Sonderegger AG arbeitete jeweils mit Exporthäusern zusammen. Die Stickereien wurden von diesen weltweit vermarktet – in den Osten, in den Westen und auch nach Amerika.
«Manchmal sind wir es inne geworden, für welche Modehäuser die Stickereien waren», sagt Jakob Sonderegger junior und zählt bekannte Namen wie Dior, Armani, Prada oder Triumph auf.
«Die Lieferzeit betrug damals rund zwei Jahre», erinnert er sich. «Kurz bevor die Maschine installiert wurde, hatte ich noch keinen einzigen Auftrag.» Bald aber hatte er so viel Arbeit, dass er mit dieser Maschine Tag und Nacht arbeitete. Eine weitere 2S kam dazu. «Die Adolph Saurer AG aus Arbon fragte uns dann an, ob sie bei uns den Prototyp der Maschine 1040 aufstellen dürfe.» Auch die Presse berichtete 1977 von dieser «Weltpremiere in Sennwald».
«Von der ganzen Welt kamen Leute, um diese neusten Saurer-Maschinen anzuschauen», erinnert sich Jakob Sonderegger senior.
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Die sechs Männer sind Kollegen, kennen sich zum Teil von der Schule her. «Wir hatten alle etwa dieselben Ideen und wollten uns in Richtung Immobilien entwickeln. Zusammen wollen wir nun etwas Grösseres machen und haben deshalb diese Liegenschaft gekauft», so Christoph Tinner.
Neue Maschinen kommen nicht an die Qualität heran
«Unsere Spezialität sind ganz feine Muster mit feinem Garn», sagt Jakob Sonderegger junior. Er vermutet:Wenn wir jetzt aufhören, ist es mit der ganz feinen Stickerei bald vorbei.Es gebe nur noch vier Lohnstickereien in der Schweiz. «Der jüngste Lohnsticker ist auch schon 61-jährig.» Einerseits fehle also künftig das Wissen, andererseits die Maschinen. «Die neusten Maschinen können das nicht mehr. Sie kommen nur bis zu einem gewissen Grad an unsere Qualität heran», so Jakob Sonderegger junior.
Bekannte Modehäuser verarbeiteten die Stickereien
Jakob Sonderegger junior sagt:Der Markt für die feinen Stickereien wäre immer noch da. Wir hätten genug Arbeit. Aber wir wollen lieber freiwillig in einem Hoch aufhören, statt in einem Tief aufhören zu müssen.Auf die nun bevorstehende Schliessung des Betriebs blickt er mit einem weinenden und einem lachenden Auge. «Wir waren stets mit Herzblut dabei», so der 66-Jährige, der einst die Stickfachschule besuchte und danach in den Familienbetrieb einstieg.
Über 50'000 Dessins im Haus
In einem Nebenraum der grossen Halle, in der aktuell noch drei 15-Yard-Stickmaschinen von Saurer stehen, lagern über 30'000 alte Lochkarten aus Karton. «Früher wurden die Maschinen nicht vom Computer gesteuert, sondern die Muster waren auf den Lochkarten», erklärt der Sticker. Zusammen mit den elektronisch gespeicherten Mustern hat er über 50'000 Dessins im Haus. Auch Tausende handgezeichnete Vorlagen von Designern liegen sortiert in Regalen. Vieles davon wird nun entsorgt. Ebenso die rund 45- bis 60-jährigen Stickmaschinen.Zum Teil werden Steuerungen und Ersatzteile weiterverwendet. Der Rest geht ins Altmetall.
Das Unternehmen setzte auf Weltneuheiten
Auch Jakob Sonderegger senior (89) ist noch regelmässig in der Stickerei. Als er in den 50er-Jahren aus der Schule kam, lief das Geschäft seines Vaters auf den kleineren Stickmaschinen gut. So stieg er ebenfalls ins Unternehmen ein. Es wurde angebaut, erweitert und modernisiert. Für rund 700'000 Franken bestellte er damals die erste 15-Yard-Stickmaschine des Typs 2S bei Saurer.Höhepunkt in den 80er-Jahren
«In der Stickereibranche ging es immer etwas auf und ab. Wir hatten auch in den schlechteren Zeiten meist genug Arbeit», erzählt er. Den Höhepunkt erreichte das Unternehmen Anfang der 80er-Jahre. Rund 30 Angestellte – zum Teil arbeiteten sie halbtags – stickten mit acht Maschinen in zwei Schichten. Dann begannen auch Länder wie Spanien und Türkei zu sticken und drückten den Preis. Jakob Sonderegger senior entschied, den Betrieb zu verkleinern. Maschinen wurden verkauft, Angestellte entlassen.Das war sehr schwer für mich, dass ich Leute entlassen musste.In der verkleinerten Grösse hatte der Stickereibetrieb nun bis heute Bestand.
An die blue24immo AG verkauft
Die blue24immo AG hat die Liegenschaft der Jakob Sonderegger AG vor wenigen Wochen gekauft. Neben Präsident Christoph Tinner gehören der blue24immo AG die Verwaltungsräte Martin Vetsch, Walter Vetsch, Hanspeter Tinner, Peter Alpiger und Marco Müller an. Christoph Tinner erzählt, wie es zum Immobilienprojekt gekommen ist: «Ursprünglich wollten wir mit unserer Baufirma, der Gebr. Tinner GmbH, in der Sennwalder Au bauen. Das Projekt wurde aber von der Gemeinde Sennwald nicht unterstützt, somit konnten wir nicht bauen. Wir suchten eine Alternative und sind auf diese Liegenschaft hier gestossen.»Vorläufig wird an Gewerbebetriebe vermietet
Nachdem die Baufirma der Gebrüder Tinner den früheren Standort im Eschagger, Sax, verlassen musste, hat sie für Maschinen und Material eine neue Bleibe beim Bahnhof Salez gefunden. So ist in Sennwald vorläufig Fremdvermietung an Gewerbebetriebe angedacht, ganz sicher sei man sich aber noch nicht. «Die Anfragen sind gut. Unser Ziel ist aber, dass es gesamthaft nicht mehr als vier Mieter sind.» Die Lage des rund 4000 Quadratmeter grossen Grundstücks mitten im Dorf sei sehr attraktiv.In drei bis vier Jahren entscheiden wir dann, ob wir die Liegenschaft weiterhin vermieten oder ob wir Wohneigentum daraus machen und Blöcke mit Wohnungen bauen.
Grossen Respekt vor der Familie Sonderegger
Dass es überhaupt zum Kauf gekommen ist, sei absoluter Zufall und eine Punktlandung gewesen, sagt Christoph Tinner.In einem Gespräch hat sich ergeben, dass Sondereggers aufhören wollen. Und wir wollten kaufen. Manchmal braucht es etwas Glück.Er lobt die Verkäufer: «Sondereggers sind sehr seriöse und faire Leute. Der Verkauf verlief unkompliziert», so Christoph Tinner. Er habe grossen Respekt vor dieser Familie, die über Generationen hier gearbeitet und Geschichte geschrieben habe und nun innert vier Wochen loslassen konnte.