Der aus dem Fernsehen bekannte Experte für Gewalt- und Sexualstraftaten, Frank Urbaniok, referierte zum Thema «Überschätzt und unterschätzt: Die menschliche Vernunft». Über 20 Jahre lang war er Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes im Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich.
Ausserdem ist er Gutachter für komplexe Fälle in Deutschland und der Schweiz, er entwickelte Konzepte zur Therapieintervention für die Behandlung von Straftätern. Frank Urbaniok ging bei seinem Vortrag auf die menschliche Vernunft im Zusammenhang mit der Evolution und die psychologische Konstruktion des Menschen ein.
Fast 180 Besucher und Besucherinnen
Referent Frank Urbaniok hat viele Leute zum Besuch des Vortrags am Dienstagnachmittag im Kirchgemeindehaus Grabs animiert. Gemäss Heiner Schlegel, Präsident Seniorenforum Werdenberg, waren fast 180 Personen anwesend. Zusätzlich hat etwa ein Dutzend Leute den Vortrag per Livestream verfolgt.
«Seit der Coronapandemie ist das der grösste Erfolg», so Schlegel. Sonst kommen meist zwischen 80 und 100 Besucherinnen und Besucher zu den Vorträgen.
Demokratie sei etwas Tolles, könne aber auch missbraucht werden. Man müsse sich den Mechanismen bewusst sein, wie Menschen aufgehetzt und propagandistisch beeinflusst werden können. «Das ist Gift für die Demokratie. Nicht Streit oder Auseinandersetzung, da bin ich sehr dafür.» Aber gegen diese Polarisierungstendenzen, extremistischen Tendenzen, müsse man die Demokratie, die weltweit unter Druck sei, verteidigen.
Appell ans Publikum, sich zu positionieren
«Ich bin sehr überzeugt davon, dass die Mitte der Gesellschaft die Stabilität demokratischer Gesellschaften ist. Nicht die Menschen mit Schaum vor dem Mund oder diejenigen, die in den sozialen Medien das grosse Wort führen, sondern die Vernünftigen – vielleicht die Menschen, die heute hier sind», sagte der Referent ans Publikum gerichtet. Er appellierte an die «manchmal schweigende Mitte der Gesellschaft» – und er meinte damit nicht die politische Partei –, dass sie mehr denn je dazu aufgerufen sei, sich zu Wort zu melden und sich zu positionieren. Er mache sich grosse Sorgen, dass ansonsten am Ende Hetzer, Pöbler und Extremisten diktieren, was wir in der Gesellschaft machen und was nicht.Die Demokratie muss verteidigt werden
Frank Urbaniok:Es gibt Menschen – ich würde mich tendenziell auch dazu zählen – denen Fakten und Wahrheit wichtig sind.Etwa 30 Prozent der Bevölkerung sei aber empfänglich für Propagandisten, die abgekoppelt von Fakten «gefühlte Wahrheiten» präsentieren.
Rote Linien beginnen bei Extremismus und Gewalt
Nach dem Vortrag beantwortete Frank Urbaniok noch einige Fragen aus dem Publikum. Es wurde beispielsweise gefragt, ob er die zunehmende Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft auch in seiner forensischen Tätigkeit feststellt. Der Psychiater nannte ein konkretes Beispiel: Beim Ausgang unter Jugendlichen haben die Bewaffnung mit Messern und die entsprechenden Delikte zugenommen. «Das ist ein Problem. Und es ist nicht gut, wenn man da zu lange zuschaut.»Ich bin aus der forensischen Praxis der Überzeugung, dass man gewisse Tendenzen frühzeitig stoppen muss. Man darf nicht zu lange warten, bis das als eine Kultur zur Selbstverständlichkeit geworden ist.Wenn Kriminalität mal aus dem Ruder laufe, werde es nach einem gewissen Punkt immer schwieriger, sie zurückzudrängen. «Ich bin für viel persönliche Freiheit, ich bin überhaupt nicht dafür, dass der Staat schnell interveniert», so Frank Urbaniok. «Aber ich bin für rote Linien. Und die fangen dort an, wo es etwas mit Extremismus, Gewalt oder Todesdrohungen zu tun hat. Da bin ich dafür, früh und klar zu intervenieren. Wenn man das laufen lässt, wird es immer schwieriger, einzugrenzen.» Das Seniorenforum Werdenberg ist ein Verein, der jährlich zwei Vortragsreihen organisiert. Die angebotenen Vorträge sollen die Besucherinnen und Besucher anregen, über Herausforderungen, Perspektiven und Visionen der Gesellschaft nachzudenken. Die Vorträge befassen sich mit allen Lebens- und Umweltbereichen. Eingeladen sind auch Nichtmitglieder. Der nächste Vortrag steht am 28. Februar auf dem Programm. (pd) www.seniorenforum-werdenberg.ch