Lang und steinig war der Weg zur politischen Gleichberechtigung der Schweizer Frauen. 1971 gab es im zweiten Anlauf zur Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Frauen endlich ein Ja an der eidgenössischen Urnenabstimmung. Die Werdenberger und Obertoggenburger, aber auch die St. Galler insgesamt, hatten am 7. Februar 1971 jedoch noch immer mehrheitlich dagegen gestimmt.
Ebenfalls im W&O vom 18. Januar 1972 warb die Freisinnig-demokratische Partei Obertoggenburg wie folgt für ein Ja:
2021 eidgenössische Jubiläum, 2022 das kantonale Jubiläum
2021 gab es zwar Grund, sich über das 50-Jahr-Jubiläum der Einführung des Frauenstimmrechts zu freuen. In kantonalen Angelegenheiten waren unter anderem im Kanton St. Gallen die Frauen auch nach diesem denkwürdigen Abstimmungssonntag von 1971 noch immer nicht stimm- und wahlberechtigt. Das änderte sich allerdings bald. Am Sonntag, 23. Januar 1972, gingen 43 Prozent der stimmberechtigen St. Galler an die Urne. St. Galler ist diesem Fall nicht als generisches Maskulinum zu verstehen. Damals waren nämlich bei kantonalen Abstimmungen nur die Männer stimmberechtigt. Rund 40300 Männer gingen also vor 50 Jahren an die Urne. Sie genehmigten mit 26282 Ja gegen 13938 Nein einen Nachtrag zur Kantonsverfassung, der die Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Frauen in Kantons- und Gemeindeangelegenheiten ermöglichte. Der Ja-Stimmenanteil im Kanton St. Gallen belief sich auf 65,3 Prozent. An jenem Sonntag machten auch rund 2900 Männer im Bezirk Werdenberg von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Auch die Werdenberger, die in den Jahren 1959 und 1971 das Frauenstimmrecht auf eidgenössischer Ebene jeweils noch deutlich abgelehnt hatten, wichen dieses Mal von ihrer längst nicht mehr zeitgemässen Haltung ab. Mit 61,5 Prozent Ja stimmten sie, wenn auch nicht wirklich überzeugend, für die Einführung des Frauenstimmrechts auf Kantons- und Gemeindeebene (vgl. Tabelle).Drei Nein im Obertoggenburg, knappes Ja in Sennwald
Knapp an einer Peinlichkeit vorbeigeschrammt sind vor 50 Jahren die Sennwalder, von denen nur gerade eine hauchdünne Mehrheit von 51,5 Prozent für die politische Gleichberechtigung der Frauen einstanden. In Buchs war der Ja-Stimmenanteil mit 70,8 Prozent am höchsten. Im Bezirk Obertoggenburg stimmten 765 Männer für und 573 gegen das Frauenstimmrecht. Als «moderne» Gemeinden erwiesen sich Wildhaus, Krummenau und Ebnat-Kappel, wo die Männer den Frauen das Stimm- und Wahlrecht zugestehen wollten. Ein Nein gab es bei den Urnenabstimmungen in den Gemeinden Alt St. Johann, Stein und Nesslau. Werdenbergs Nachbarregion im Süden, der Bezirk Sargans, sagte Ja zum Frauenstimmrecht. Werdenbergs Nachbarn im Norden, die Männer des Bezirks Oberrheintal stimmten Nein. Damals gab es im Kanton St. Gallen 14 Bezirke (heute sind es 8 Wahlkreise) und 90 Gemeinden (heute 77). Das Oberrheintal war 1972 der einzige Bezirk im Kanton, der dem Frauenstimmrecht eine Abfuhr erteilte. Der W&O schrieb über die 19 Gemeinden, die damals Nein gestimmt hatten: «Es handelt sich vorwiegend um ländliche Gemeinden mit einer konservativen Bevölkerung im Rheintal, im Oberland und im Toggenburg. Aber auch grössere Gemeinden wie Altstätten, Oberriet und Nesslau befinden sich nach wie vor unter den Neinsagern.»Schlussstrich unter «unlogische Situation»
Blenden wir zurück vor diesen denkwürdigen 23. Janauar 1972. Im Vorfeld der Abstimmung wurde im W&O vom 18. Januar 1972 ein Aufruf von 17 Leuten aus dem Obertoggenburg (auch kantonale Politiker und Gemeindeammänner) publiziert. Darin hiess es: «Die Einführung des Frauenstimmrechts schafft die Möglichkeit, unter eine unerfreuliche und unlogische Situation einen Strich zu ziehen: In eidgenössischen Angelegenheiten sind unsere Mitbürgerinnen stimmberechtigt, nicht aber in Kantons- und Gemeindeangelegenheiten; wir entsenden Nationalrätinnen nach Bern, geben unseren Mitbürgerinnen aber keine Gelegenheit, dort mitzuwirken, wo ihre Mitarbeit am unmittelbarsten und wertvollsten ist: in Schule, Gemeinde und Kanton.»Ist nicht die Zeit gekommen, uns solidarisch hinter unsere Mitbürgerinnen zu stellen und ihnen das zu geben, was ihnen zusteht? Solidarität – wahre Grösse der Demokratie. Lassen wir es nicht bei den Worten bewenden.