«Ich bin einsam und fühle mich wertlos» – 3400 Menschen leben im Werdenberg in Armut | W&O

Buchs 05.07.2024

«Ich bin einsam und fühle mich wertlos» – 3400 Menschen leben im Werdenberg in Armut

Kürzlich lud die SP Buchs zu einem Informationsabend zum Thema Armut und Sozialhilfe im Werdenberg ein.

Von PD
aktualisiert am 05.07.2024
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Cécile Weber, Vorstandsmitglied der SP Buchs und Stadtratskandidatin, begrüsste die zahlreich erschienenen Gäste und stellte die beiden Referenten vor: Lorenz Bertsch, Leiter der Caritas-Regionalstelle Sargans, und Hans Schlegel, Leiter des Sozialamts Buchs.

Anhand von Aussagen Armutsbetroffener zeigte Bertsch auf, was Armut konkret bedeutet. «Unser Einkommen», so eine 34-jährige Alleinerziehende, «liegt 45 Franken über dem Existenzminimum. Das bedeutet, dass ich kein Anrecht auf Unterstützung habe.»

Es kümmert niemanden, dass ich pro Monat 270 Franken Mehrkosten in den Bereichen Energie, Mieterhöhung und Krankenkasse habe und nicht weiss, ob das Einkommen noch für den Einkauf der Lebensmittel reicht.

Ein 56-Jähriger schildert seine Situation wie folgt:

Ich möchte doch nur einfach glücklich sein. Ich lebe am Existenzminimum, bin einsam, vertrockne innerlich und fühle mich wertlos.

Im Werdenberg, so Bertsch, leben 3400 Menschen in Armut und rund 6400 sind armutsgefährdet. Gründe dafür seien unter anderem ein Arbeitsplatzverlust, Krankheit und Unfall, zu tiefe Löhne, steigende Kosten für Energie, Krankenkasse, Lebensmittel und Mietzinsen, Scheidung oder Trennung, fehlende Bildung oder ein Todesfall.

Lauter unverschuldete Faktoren – entgegen der oft gehörten Meinung, die Betroffenen seien an ihrer Situation selber schuld.

Einsamkeit, Isolation und im Extremfall tödlich

Die Folgen seien gravierend: Armut führt oft zu Einsamkeit und Isolation, belastet Beziehungen, macht müde, beeinträchtigt das Selbstwertgefühl, erhöht das Risiko von Erkrankungen und kann im Extremfall sogar tödlich sein.

Von links: Hans Schlegel, Cécile Weber und Lorenz Bertsch.
Von links: Hans Schlegel, Cécile Weber und Lorenz Bertsch.
PD

Mit verschiedenen Massnahmen versuche die Caritas, so Bertsch, die schlimmste Not ein klein wenig zu lindern, so etwa durch finanzielle Hilfe für Menschen in Notlagen, Abgabe von Bezugskarten für Lebensmittelabgabestellen, Budget- und Schuldenberatung oder Vergünstigung von Freizeitaktivitäten.

Darüber hinaus gehe es Caritas aber auch darum, dringend nötige Reformen wie Prämienverbilligung, Familienergänzungsleistungen oder bezahlbare Kita-Plätze anzustossen.

Hürden für Antragsstellende steigen durch Digitalisierung

Im Folgenden erläuterte Hans Schlegel die Rahmenbedingungen der Sozialhilfe, die sozusagen das «letzte Netz» bilde, wenn alle anderen Netze gerissen seien. Es handelt sich dabei im Werdenberg um rund 500 Personen, wobei Minderjährige das höchste Sozialhilferisiko tragen. Wer ein Gesuch stelle, müsse seine finanzielle Lebenssituation in allen Einzelheiten offenlegen.

Skeptisch stehe er der zunehmenden Digitalisierung gegenüber, denn diese erhöhe die Hürden für Antragsstellende massiv. Auch dass Gesuche für Weiterbildungen von den einzelnen Gemeinden sehr unterschiedlich behandelt würden, störe ihn. Überhaupt fände er es stossend, auf dem Buckel der Ärmsten zu sparen – aber diese bildeten halt nicht ein für die politischen Parteien ausschlaggebendes Wählerpotenzial.

In der anschliessenden Diskussion wurde unter anderem die Frage aufgeworfen, ob es nicht einfacher wäre, die Sozialhilfeberechtigung aufgrund der Steuerrechnung festzulegen. Es brauche, so ein anderes Votum, eine breitere öffentliche Diskussion zum Thema Armut, auch mit dem Ziel, betroffene Menschen nicht zu verurteilen, denn, wie auch Lorenz Bertsch bekräftigte: «Es kann jeden treffen.»