Invalide oder nicht: Das Gericht beschäftigte sich mit einem Mann, dem Betrug vorgeworfen wird | W&O

21.12.2022

Invalide oder nicht: Das Gericht beschäftigte sich mit einem Mann, dem Betrug vorgeworfen wird

Hat ein 58-jähriger Schweizer jahrelang seine Invalidität vorgetäuscht und Hunderttausende an Franken unrechtmässig bezogen, während er sein Leben massgeblich mit Drogen finanzierte?

Von Christof Lampart
aktualisiert am 28.02.2023
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Mit der Frage, ob ein Handwerker sich des gewerbsmässigen Sozialversicherungsbetrugs schuldig gemacht hat, setzte sich das Kreisgericht Toggenburg in Lichtensteig auseinander. Dass dieser mit Haschisch und Marihuana handelte, wurde nicht bestritten. Zu reden gab aber die Menge. Die Anklage ging davon aus, dass er zwischen 2017 und 2020 «mindestens 20 Kilogramm Cannabisprodukte mit einem THC-Gehalt von mindestens einem Prozent» in den Kantonen St.Gallen und Graubünden verkauft hatte. Der Beschuldigte wartet jedoch mit einer anderen Rechnung auf.

Zwei Kilogramm als «Notvorrat» behalten

Er habe «lediglich» fünf Kilo Haschisch gekauft, drei davon mit geringer Gewinnspanne weiterverkauft (Einkauf: 4750 Franken/kg; Verkauf: 5000 Franken/kg), und zwei Kilo für sich als «Notvorrat» behalten, denn er sei ein Prepper, erklärte der langhaarige Blonde. Ein Prepper ist ein Mensch, der sich gezielt auf das Eintreten einer wie auch immer gearteten Katastrophe oder Krise vorbereitet. Zwar habe er schon lange nicht mehr gehascht. Angesichts seiner langen Krankenakte – er leidet seit seiner Jugend an Rheuma, an Hepatitis B sowie an diversen anderen Gebrechen und erlitt vor einigen Jahren einen Herzinfarkt – könne er halt nie wissen, ob er den Stoff noch einmal brauchen würde, um seine Schmerzen zu lindern. Er raunte zudem dem Richter zu, dass Medikamente bei der aktuellen Weltlage mitunter immer schwerer zu bekommen seien. Auch erklärte er, was er vom Schweizer Rechtsstaat halte:
An mir wurden hier Menschenrechte verletzt und Verfahrensfehler begangen; das ist eigentlich nicht akzeptabel.

Vital statt suizidgefährdet?

In Sachen «nicht akzeptabel» pflichtete ihm der Staatsanwalt bei, meinte aber nicht die hiesige Rechtsprechung, sondern das jahrelange Verhalten des Beschuldigten. Dieser sei spätestens ab dem Jahr 2011 zumindest zu 70 Prozent arbeitsfähig gewesen. Tatsächlich habe er aber nur einen möglichen Beschäftigungsgrad von 30 Prozent bei der Sozialversicherung angegeben. Zwischen Januar 2011 und dem 10. August 2020 habe er deshalb 358’439 Franken an Rentenzahlungen und Versicherungsleistungen «betrügerisch erhalten». Während er noch im Jahr 2012 gegenüber seiner Sozialarbeiterin angab, gesundheitlich stärker denn je angeschlagen und suizidgefährdet zu sein, habe er bereits im Jahr 2011 eine Gruppenreise nach Ägypten unternommen und im Mai 2012 in Wildhaus ein Haus gemietet, das er mit Hilfe von Freunden umbaute und isolierte. «In Tat und Wahrheit war er ein sehr vitaler, aktiver und lebenstüchtiger Mann», so der Staatsanwalt.
 Der Fall wurde am Kreisgericht Toggenburg verhandelt.
Der Fall wurde am Kreisgericht Toggenburg verhandelt.
Bild: Archiv
Er forderte für den Beschuldigten eine Freiheitsstrafe von 36 Monaten unter Anrechnung der Untersuchungshaft und des vorzeitigen Strafvollzugs von 109 Tagen. 24 Monate sollen bedingt, bei einer Probezeit von drei Jahren, zwölf Monate unbedingt vollzogen werden. Auch solle er dem Staat 368’000 Franken zurückzahlen und eine Busse von 200 Franken bezahlen.

«Gefälligkeitsgutachten für die Staatsanwaltschaft»

Ganz anders sah dies der Verteidiger. Der Mann sei über Jahrzehnte von Psychiatern und Ärzten behandelt worden, welche ihm seit 1999 bescheinigten, dass er eine schwere Arbeit wegen der starken Schmerzen nur sehr eingeschränkt ausüben könne. Das von der Anklage eingeholte psychiatrische Gutachten sei ein «Gefälligkeitsgutachten für die Staatsanwaltschaft» und nicht aussagekräftig: «Der Gutachter hat den Beschuldigten einen Tag gesehen, die anderen Ärzte teilweise schon seit seiner Jugend», verhehlte der Anwalt nicht, wessen Diagnose er mehr Glauben schenkte.

Verteidiger fordert Freispruch

Der Verteidiger forderte für seinen bis dato nicht vorbestraften Klienten einen Freispruch hinsichtlich des Sozialversicherungsbetrugs und wegen des Drogenhandels «eine dem Verschulden nach angemessene Sanktion». Auch solle man die beim Mann beschlagnahmten Luxusuhren, Kupfer- und Silberbarren sowie Münzen zurückgeben. Diese habe er über Jahrzehnte hinweg erworben, um sich so Rücklagen für später zu bilden. Das Urteil wird schriftlich eröffnet.