«Ist ein europäisches Problem»: Der Migrationsstrom an der Grenze lässt sich nicht aufhalten | W&O

01.12.2022

«Ist ein europäisches Problem»: Der Migrationsstrom an der Grenze lässt sich nicht aufhalten

Die Regierung hält Militärpolizei zur Verstärkung der Grenzwacht im Rheintal für unangemessen – und wirkungslos. Die SVP-Fraktion des Kantonsrates hatte dies gefordert. Sie überlegt sich nun, eine Standesinitiative einzureichen.

Von Max Tinner
aktualisiert am 28.02.2023
Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 9 Franken im Monat oder 96 Franken im Jahr.

Die SVP schlägt Alarm wegen der vielen illegalen Einreisen über die Grenze im Rheintal. In einem Vorstoss, den sie am Montag zu Beginn der Novembersession des Kantonsrates eingereicht hat, beruft sich die Fraktion auf Zahlen des Bundes: Im Oktober seien 7891 Personen wegen illegaler Grenzübertritte aufgegriffen worden. Dies seien noch einmal 1200 mehr als bereits im Monat zuvor und ein Mehrfaches der 2090 Aufgriffe im selben Monat des Vorjahres. Die meisten dieser Übertritte habe es im Rheintal (und hier vor allem am Bahnhof Buchs) gegeben sowie im Tessin.

Die meisten wollen weiter

Zwar sei für viele dieser vorwiegend aus Afghanistan und Tunesien stammenden Leute die Schweiz gar nicht das Zielland, schreibt die SVP-Fraktion, relativiert aber:
Eine Garantie, dass die Migranten sich nicht dennoch unerkannt in der Schweiz aufhalten, gibt es nicht.
Die SVP-Fraktion forderte in ihrer als dringlich eingereichten Interpellation Unterstützung der Grenzwacht durch die Armee und im Besonderen durch die Militärpolizei. Das ist zwar Sache des Bundes, die SVP wollte die Kantonsregierung aber beauftragen, diese Unterstützung anzufordern. Der Gesamtrat hiess dann am Dienstag die Dringlichkeit des Vorstosses gut. Die Regierung hat ihre Antwort darum bereits am Mittwoch vorgelegt. Die Zahlen der SVP bestreitet sie nicht – sie dürften tatsächlich sogar noch höher sein, weil nicht mehr alle Züge kontrolliert werden. Einen Armeeeinsatz hält die Regierung trotzdem für unangemessen. Die illegale Migration lasse sich dadurch nicht aufhalten.
 Morgendliche Szene am Bahnhof Buchs: Migranten auf ihrer Durchreise werden von der Grenzwacht instruiert.
Morgendliche Szene am Bahnhof Buchs: Migranten auf ihrer Durchreise werden von der Grenzwacht instruiert.
Bild: Corinne Hanselmann
Dies zeige sich in Österreich: Dort werde an der Grenze zu Ungarn mit Unterstützung des Bundesheeres systematisch kontrolliert. Mit dem Ergebnis, dass die Migrantinnen und Migranten ein Asylgesuch stellen und kurz darauf trotzdem weiterreisen. «Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass dies in der Schweiz anders wäre», schreibt die Regierung. Stichproben belegten dies. Erfahrungen, die man im Rheintal und Werdenberg gemacht hat, deuten ebenfalls darauf hin: Ein provisorisch in Buchs eingerichtetes Bearbeitungszentrum erwies sich als untauglich. Dublin-Verfahren liefen ins Leere.

Sanktionen lassen sich nicht durchsetzen

Dies, weil Österreich keine Migrantinnen und Migranten zurücknimmt. Und weil die in die Unterkünfte gebrachten Migrantinnen und Migranten innert kürzester Zeit weiterreisten. Genauso solche, die dem Bundesasylzentrum in Altstätten zugewiesen wurden. Das Zentrum in Buchs wurde bereits nach zwei Monaten wieder geschlossen. Die Regierung macht deutlich: Die eigentlich vorgesehenen Sanktionen bei Verstössen gegen die Einreisevorschriften (es droht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe) lassen sich bei der Zahl betroffener Migrantinnen und Migranten schlicht nicht durchsetzen. Verzeigungen der Kantonspolizei an die Staatsanwaltschaft brachten nichts – die Betroffenen sind weitergereist, bevor das Verfahren in Gang kam. Dies lasse sich nicht verhindern, schreibt die Regierung. Die Leute einzusperren, nur weil sie keine gültigen Einreisepapiere haben, gehe nicht:
Es wäre unverhältnismässig und deswegen nicht zulässig – und es hätte nicht einmal ansatzmässig genügend Gefängnisplätze.

Für Wirtschaft im Rheintal wären Grenzkontrollen fatal

Greift die Grenzwacht Personen auf, die zur Fahndung ausgeschrieben sind, übergibt sie diese der Kantonspolizei. Alle anderen lässt sie weiterreisen: «Eine Rückführung nach Österreich ist nicht möglich und eine Handhabe, sie länger festzuhalten, gibt es nicht.» Die Regierung ist überzeugt: Das Problem lässt sich weder kantonal noch national lösen.
Die aktuelle Migration ist ein europäisches Problem, das auf europäischer Ebene gelöst werden muss.
Bilateral sei vom Bund mit Österreich ein Aktionsplan mit grenzpolizeilichen Massnahmen erarbeitet worden, zu dem nächstens ein nächstes Treffen angesetzt sei. Die Regierung hält weiter fest, dass die Kriminalität trotz der Migrationswelle nicht zugenommen hat. Sie spricht sich auch gegen die Wiedereinführung von systematischen Grenzkontrollen aus: Es würde den über 10000 täglich einreisenden Grenzgängerinnen und Grenzgängern die Einreise massiv erschweren:
Die Auswirkungen auf die Wirtschaft im Rheintal wären enorm.

SVP: «Das ist eine Bankrotterklärung»

«Hier wird geltendes Recht nicht durchgesetzt», entgegnete der Werdenberger SVP-Kantonsrat Sascha Schmid im Namen der Fraktion, «das ist eine Bankrotterklärung.»
 Kantonsrat Sascha Schmid.
Kantonsrat Sascha Schmid.
Bild: Corinne Hanselmann
Die SVP wirft Bund und Kanton zudem vor, nicht ernsthaft genug mit Österreich zu verhandeln, das sich nicht an Verträge halte. Die SVP fordert, Druck auf das Nachbarland auszuüben – namentlich über die Grenzgängerinnen und Grenzgänger, von deren hohen Einkommen in der Schweiz ja Österreich durch höhere Steuern profitiere. Die SVP-Fraktion will nun eine Motion oder Standesinitiative als weiteren Schritt prüfen.