Ein gut zwanzigjähriger Bursche hatte seine Lehre als Automechaniker noch nicht abgeschlossen und konnte sich zu seinem Leidwesen keinen eigenen Wagen leisten. So lieh er sich gelegentlich das Auto des Vaters, einen schwarzen Mini Cooper aus. Als er wieder einmal mitten in der Nacht unterwegs war, fuhr er rassig durch die als Begegnungszone signalisierte Bahnhofstrasse in Buchs. An deren Ende wollte er gekonnt in die Kurve driften. Dabei brach das Fahrzeug aus, schlitterte quer über die Hauptstrasse sowie den Gehsteig und prallte in die Eingangstür eines Bistros, das zum Glück schon geschlossen war. Der Lenker legte ungerührt den Rückwärtsgang ein, holperte mit dem ramponierten Kleinwagen nach Hause und kam zu Fuss an den Tatort zurück. Dort meldete er der Alarmzentrale, dass er soeben einen Verkehrsunfall miterlebt habe. Der aufgebotenen Polizeistreife erzählte er, wie ein schwarz lackiertes BMW-Coupé in das Haus gekracht und sofort wieder davongerast sei. Mehr habe er in der Hast nicht erkennen können.
Anwältin eilt zur Hilfe
Nach einigen Stunden wählte der Lehrling erneut den Notruf und behauptete, der auf dem Vorplatz abgestellte Mini sei böswillig beschädigt worden. Den Polizisten fiel aber gleich auf, dass der Schaden mit den am Unfallort gefundenen Spuren übereinstimmte, und so vernahmen sie den Anzeiger auf der Stelle als Verdächtigen. Eine Anwältin, die gegenüber wohnte, erblickte die Szene zufällig vom Küchenfenster aus, hoffte auf ein lukratives Mandat und bot ihre spontane Hilfe an. Die Polizeibeamten wiesen sie jedoch unwirsch ab, weil der Fall bereits geklärt sei. Darauf unterschrieb der Beschuldigte das Protokoll, obschon ihm die Fürsprecherin davon abriet. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn nun an wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln, Fahrerflucht und Vereitelung einer Alkoholprobe. Unerwähnt blieb hingegen der Versuch, eine fremde Täterschaft vorzutäuschen. Eine falsche Anschuldigung liegt erst vor, wenn eine bestimmte Person angeschwärzt wird, und eine Irreführung der Rechtspflege nur dann, wenn ein erfundenes Delikt angezeigt wird.
Beschuldigter holt das verlorene Kontrollschild zurück
Der Beschuldigte beantragte vor dem Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland, ihn freizusprechen, und beauftragte seine geschäftstüchtige Nachbarin, ihn zu verteidigen. Das tat sie auch mit grossem Eifer. Sie verlangte, das widerrufene Geständnis ihres Mandanten dürfe nicht verwertet werden. Er sei, wie sie selbst bezeugen könne, von der Polizei bearbeitet und mit suggestiven Fragen bedrängt worden. Der Richter fand jedoch, der Beschuldigte habe sich das Schuldbekenntnis gut überlegt. Das gehe gerade aus dem Umstand hervor, dass er das Protokoll trotz eindringlicher Warnung der Rechtsberaterin signierte. Sein nachträglicher Hinweis, er habe befürchtet, bei einer Verweigerung der Aussage in Handschellen abgeführt zu werden, sei nicht glaubhaft. Dem Geständnis komme aber ohnehin keine entscheidende Bedeutung zu. Die Indizien reichten aus. Dazu gehöre nicht nur das Spurenbild, sondern vor allem auch eine Aufnahme, die mit der Überwachungskamera einer neben der Unfallstelle gelegenen Konditorei gemacht wurde. Sie zeige, wie der Beschuldigte kurz nach dem Ereignis am Laden vorbeilief und wenig später mit einem länglichen Gegenstand unter dem Arm zurückkehrte. Dabei handle es sich offensichtlich um das verlorene Kontrollschild seines Wagens. So kam es zu einem Schuldspruch im Sinne der Anklage.
Sein Lügenkonstrukt ist nicht verboten
Der Beschuldigte wendet sich an das Kantonsgericht. Dort begnügt sich seine Vertreterin nicht mit der Wiederholung des Arguments, das herausgepresste Geständnis sei unverwertbar. Sie liefert auch noch eine Erklärung für die belastende Videoaufnahme: Der Beschuldigte sei von einem Kollegen gebeten worden, ein Händlerschild von einem beim Rathaus parkierten Occasionsfahrzeug abzunehmen. Weil er nach der Beobachtung des Unfalls hellwach gewesen sei, habe er den Auftrag sogleich erledigt.
Spätestens an diesem Punkt wird klar, dass der junge Mann ziemlich dreist Lüge an Lüge reiht. Ein solches Verhalten ist im Strafprozess allerdings nicht verboten. Der Beschuldigte und seine Verteidigerin sind nicht zur Wahrheit verpflichtet. Das mag namentlich für die Polizei frustrierend sein. Ihre Ermittlungsarbeit ist oft nichts anderes als eine Suche in dunkler Nacht nach einem schwarzen Auto, das es gar nicht gibt.