Kantonsrat stellt eine Anfrage an die Regierung bezüglich des Umganges mit dem Wolf | W&O

29.05.2022

Kantonsrat stellt eine Anfrage an die Regierung bezüglich des Umganges mit dem Wolf

Der Wolf ist im Toggenburg schon lange kein Mythos mehr. Urs Büchler, kantonaler Wildhüter, bestätigt, dass im Jahr 2021 rund 30 Risse an Nutztieren durch Wölfe haben nachgewiesen werden können – allesamt auf ungeschützten Weiden. In diesem Jahr sind es zwei nachgewiesene Risse bei Hirschen.

Von Urs M. Hemm/Margrith Widmer
aktualisiert am 28.02.2023
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Die Politik und die Bevölkerung hätten entschieden, dass Wildtiere wie der Wolf, der Luchs oder der Bär in unserer Landschaft, nachdem sie ausgerottet worden waren, wieder ihren Platz haben sollen. «Somit müssen Nutztierhalter Vorkehrungen treffen, damit ihre Tiere bestmöglich geschützt sind.» In eine andere Scharte schlägt Adrian Gmür, Kantonsrat aus Bütschwil-Ganterschwil, die Mitte. In einer Einfachen Anfrage an die Regierung fordert er diese auf, die Informations- und Alarmierungspolitik im Falle eines Wolfrisses zu verbessern. Auch künftig kommunizieren Er schreibt: «In ihrer Antwort zur Interpellation ‹Wolfsrisse – transparent kommunizieren› hat die Regierung beteuert, dass sie in Sachen Wolfsrisse auch künftig kommunizieren wolle. Sie verweist in ihrer Antwort unter anderem auch auf die Alarmierungspraxis für die Tierhalter mittels SMS-Benachrichtigungen durch die Fachstelle Herdenschutz.» In Regionen mit permanenter Grossraubtierpräsenz werde der Bedarf der Meldungen jedoch auf das Wesentliche beschränkt, schränkte die Regierung dabei ein. «Kommunikation befriedigt nicht» Die Kommunikation zum Thema befriedige dennoch nicht, heisst es weiter im Schreiben an die Regierung: «Die Alarmierung der Tierhalter per SMS nach erfolgten Rissen wäre an sich ein gutes Instrument. Es ist jedoch unklar, welche Tierhalter informiert werden sollen, nach welchen geografischen Kriterien der SMS-Verteiler erstellt wird und welche Regelung in Grenzlagen von Regionen oder Kantonen gilt.» Zudem sei die Alarmierung der Tierhalter im Zeitpunkt eines von der Wildhut bestätigten Wolfsrisses sehr oft zu spät. Wildhüter Urs Büchler sagt, dass ab sofort jeder Wolfriss auf der Website des Amts für Natur, Jagd und Fischerei veröffentlicht sowie an den Herdenschutzbeauftragten weitergeleitet werde. Dieser entscheide schliesslich, an wen eine Meldung gemacht werde. «Es muss jederzeit mit dem Auftauchen eines Wolfes gerechnet werden» «Es gibt in jedem System Verbesserungspotenzial. Im Toggenburg muss jederzeit mit dem Auftauchen eines Wolfes gerechnet werden. Ein Alarmierungssystem kann kontraproduktiv sein, wenn die Nutztierhalter davon ausgehen würden, dass sie ihre Herden erst dann schützen müssten, wenn ein Alarm erfolgt – dann kann es bereits zu spät sein», sagt Urs Büchler. Alarmierung funktioniert nicht reibungslos Ein weiteres Hindernis für eine zeitgerechte und umfassende Alarmierung seien gemäss Adrian Gmürs Anfrage die Kantonsgrenzen. «Unlängst riss ein Wolf in der Gemeinde Fischingen in unmittelbarer Nähe zum Kanton St.Gallen ein Schaf und ein Kalb. Die Tierhalter in den benachbarten St.Galler Gemeinden Mosnang und Kirchberg wurden durch die Tageszeitung und das Radio ‹alarmiert›, allerdings erst zwei Tage nach diesen Vorfällen. Dieses Beispiel zeigt, dass die Alarmierung der Tierhalter noch nicht reibungslos funktioniert und zwingend optimiert werden muss.» Über interkantonale Fragen möchte sich Urs Büchler, verantwortlich für die Wildhut in Oberen Toggenburg und im Neckertal, nicht äussern. Er sagt:
Die Wildhüter tauschen sich aber auch über Kantonsgrenzen aus.
Kantonsrat Adrian Gmür war am Freitag nicht für eine Stellungnahme erreichbar. «Wolfsrisse sind rückläufig» Aktuell leben in der Schweiz bis zu elf Wolfsrudel; das ergibt einen Bestand von etwa 153 genetisch nachgewiesenen Wölfen, so David Gerke, der Präsident der Gruppe Wolf Schweiz, in der «Wolfsspur» 2022. Die Zahl der Risse hat sich – trotz steigender Wolfspopulation – nur unwesentlich verändert. Laut vorläufigen Zahlen betrugen sie 2021 unter 800; das ist etwas weniger als 2020 mit 815 Rissen in der ganzen Schweiz. Die bis 2020 ermittelten Zahlen zeigen, dass die absolute Zahl der Risse in mit von Herdenschutzhunden geschützten Herden auf sehr tiefem Niveau stabil bis leicht rückläufig ist – und dies bei weiterem Bestandeswachstum der Nutztierherden. David Gerke sagt:
Die Terminologie von Behörden und Wolfsgegnern, wonach der Herdenschutz an Wirkung verliere, weil die Wölfe lernen würden, ihn zu umgehen, lässt sich anhand der Zahlen nicht belegen.
Wölfe lernen «Im Gegenteil: Die Zahlen weisen auf eine anhaltend hohe Wirkung des Herdenschutzes hin.» Die Zahlen belegen auch, dass die Anzahl Wolfsrisse in den vergangenen Jahren weiter rückläufig war. Denn: Leicht weniger Risse bei einer deutlich steigenden Zahl von Wölfen ergibt weniger Risse pro Wolf. Als neues Phänomen traten im Jura gehäuft Risse an Kälbern auf. Bisher waren Risse an Kälbern und Eseln seltene Ausnahmen. 2021 haben jedoch Wölfe begonnen, Kälber zu reissen. Dabei handelte es sich ausnahmslos um Tiere aus reinen Kälberherden und nicht um Tiere aus Mutterkuhhaltung. 2020 griff das Rudel Kälber einer Mutterkuhherde an, wurde jedoch von den Mutterkühen erfolgreich abgewehrt. Daraus lernten die Wölfe offenbar, dass von ihren Müttern geschützte Kälber keine leichte Beute sind. Kälber jedoch, die auf sich allein gestellt sind, vermögen sich offenbar nicht ausreichend gegen Wölfe, die in Gruppen jagen, zu wehren. Am Dienstag, 31. Mai, findet um 20 Uhr eine Informationsveranstaltung im Büelensaal in Nesslau zum Thema «Der Wolf im Toggenburg» statt.