Noch bis 10. Dezember läuft die weltweite Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen», auch bekannt unter dem Titel «Orange Days». Teil davon ist ein Workshop zum Thema häusliche Gewalt. Er hat diese Woche Teilnehmerinnen in mehreren Mintegra-Frauentreffs in der Region Werdenberg für das Thema sensibilisiert.
91 Prozent der Opfer sind weiblich
Häusliche Gewalt betrifft alle Gesellschaftsschichten. 91 Prozent aller Opfer sind weiblich. Von rund 20200 Fällen von häuslicher Gewalt im Jahr 2020 weiss die Polizei – jedoch wenden sich nur 10 bis 20 Prozent aller Opfer überhaupt an die Polizei. Mit diesen Fakten stieg Bettina Riederer in den Workshop ein. Die 41-jährige Rapperswilerin hat als Sozialarbeiterin in einem Gefängnis gearbeitet und studierte in England Kriminologie. Sie hat mehrjährige Erfahrung in Täter- sowie Opferarbeit und hält regelmässig Referate zu Themenfeldern der sozialen Arbeit, Gesundheit und Kriminologie.
Den meisten kommt körperliche Gewalt wohl als Erstes in den Sinn, wenn von häuslicher Gewalt die Rede ist. «Häusliche Gewalt ist mehr als Schlagen», sagt Riederer.
Wenn eine Frau nicht frei entscheiden darf, mit wem sie sich trifft, ist das auch Gewalt.
Oder wenn sie kein eigenes Bankkonto eröffnen, nicht Deutsch oder Autofahren lernen darf. Oder wenn sie nicht mitentscheiden darf, wo die Familie wohnt. Wenn sie gedemütigt, beschimpft oder bedroht wird. «Wenn du gehst, siehst du deine Kinder nie wieder», nennt Riederer ein Beispiel. Sie hat in den vergangenen Jahren etwa 400 Frauen beraten, die Gewalt erlebt haben.
Oft seien Männer, die häusliche Gewalt verüben, nicht per se böse, «sondern sie haben es in ihrer Kultur nicht anders gelernt – der Vater und der Grossvater waren schon so». Doch wenn Männer erst einmal damit beginnen, gelangen sie häufig in eine Gewaltspirale und es passiert immer häufiger, weiss die Fachfrau.
Häusliche Gewalt ist nicht «normal»
Riederer gab den Frauen mit auf den Weg:
Häusliche Gewalt ist keine Privatsache, sondern eine Straftat. Das geht nicht niemanden etwas an. Wenn ihr mitbekommt, dass eine Frau von häuslicher Gewalt betroffen ist, sagt ihr, dass das nicht normal ist und dass es Hilfe gibt.»
Auch wenn man im Wohnblock ober- oder unterhalb jemanden heftig streiten höre, solle man die Polizei rufen. «Ich finde das wichtig, denn ihr könnt damit vielleicht jemandem sehr helfen.»
Frauenhäuser oder die Opferhilfe sind Anlaufstellen, die gewaltbetroffenen Frauen Unterstützung bieten.
Kontakte zu anderen knüpfen
Der wöchentlich stattfindende Mintegra-Frauentreff in Buchs wird seit vielen Jahren von Susi Crescenti geleitet. «Wir sprechen auf Deutsch über Alltagsthemen in der Schweiz», erklärt sie, worum es beim Treff geht, wenn nicht gerade ein spezieller Anlass wie der Workshop über häusliche Gewalt stattfindet.
Die Frauen dürfen auch mit Problemen zu mir kommen. Dann besprechen wir das und sie erhalten Unterstützung.»
Kürzlich habe eine Frau gefragt, was sie tun könne: Ihr Kühlschrank funktionierte seit Monaten nicht mehr und der Vermieter unternahm nichts. Gemeinsam habe man dann einen Brief verfasst, erzählt die Leiterin ein Beispiel. Dass die Frauen untereinander Kontakte knüpfen und einander unterstützen können, sei ein weiterer ganz wichtiger Punkt im Frauentreff, so Susi Crescenti. Kinder werden während der eineinhalb Stunden übrigens betreut.
Zu den Treffen kommen nicht nur Flüchtlingsfrauen
Acht Frauen waren beim Workshop mit dabei – sie sind aus Syrien, Äthiopien, Tunesien, Italien und weiteren Ländern. Meist nehmen zwischen drei und zwölf Frauen an den Treffen teil. «Manche kommen seit Jahren, es kommen auch immer wieder neue dazu. Andere ziehen weg oder benötigen die Unterstützung nicht mehr.» Zum Frauentreff kommen nicht nur Flüchtlingsfrauen, sondern auch gut situierte Frauen, deren Männer beispielsweise der Arbeit wegen in die Region gekommen sind.