Kritische Situation bei den Tagesmamis: Die Nachfrage steigt, das Angebot nimmt ab | W&O

04.10.2022

Kritische Situation bei den Tagesmamis: Die Nachfrage steigt, das Angebot nimmt ab

Der Verein Tagesfamilien Toggenburg sucht neue Tagesfamilien. Immer seltener wollen Mütter oder Väter auf fremde Kinder aufpassen.

Von Lara Wüest
aktualisiert am 28.02.2023
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Céline Bischof liebt ihre Arbeit. Doch manchmal braucht sie in ihrem Job vor allem eins: starke Nerven. Insbesondere an den Tagen, an denen am Mittag fünf kleine Kinder um ihren Esstisch wuseln. Dann geht es manchmal derart drunter und drüber, dass sie selbst nicht zum Essen kommt. «Ich brauche zum Teil eine Engelsgeduld», sagt sie und lacht.

Wichtige ausserfamiliäre Betreuungsform

Céline Bischof arbeitet als Tagesmutter. Seit fünf Jahren kümmert sich die 32-Jährige an drei Tagen pro Woche um vier Kinder aus anderen Familien. Neben ihren eigenen drei Buben. Keines der Kinder ist über acht Jahre alt. Die Arbeit, die Céline Bischof ausübt, ist gefragt. Tagesfamilien sind, ähnlich wie Kindertagesstätten, eine wichtige ausserfamiliäre Betreuungsform. Gerade dort, wo es keine Kitas gibt. Doch wer im Toggenburg eine Tagesfamilie für seine Kinder sucht, wird nicht so leicht fündig. Das sagt zumindest Elisabeth Frei, die gerade bei Céline Bischof zu Besuch ist. Und Frei ist eine, die sich auskennt. Seit 20 Jahren arbeitet sie als Vermittlerin für den Verein Tagesfamilien Toggenburg. Sie sagt: «Die Nachfrage nach Tagesfamilien ist gestiegen. Das Angebot hat aber abgenommen.» Derzeit fragen bei dem Verein pro Monat drei bis fünf Familien an, die einen Platz suchen. Gerade einmal der Hälfte von ihnen kann der Verein eine Tagesfamilie vermitteln. Mit einer Aktion will er dem nun entgegenwirken.

In einer Tagesfamilie ist es familiärer

An einem sonnigen Nachmittag sitzen Elisabeth Frei und Céline Bischof auf dem Balkon des Einfamilienhauses der Familie Bischof in Gähwil und erzählen vom Alltag in einer Tagesfamilie. Neben ihnen sitzt auch das Mami Lidia Künzle. Jeden Montag und Donnerstag betreut Céline Bischof Künzles Kinder Alena und Nino. In den Tagesfamilien betreuen Tageseltern die Kinder meistens im eigenen Zuhause. Für Lidia Künzle war das ein wichtiger Grund, warum sie sich gegen die Kita und für die Tagesfamilie entschied. Sie sagt:
In einer Tagesfamilie ist es familiärer und meine Kinder haben stets dieselbe Betreuungsperson.
Ihre Kinder sind der Tagesmutter so nahe, dass sie diese auch schon Mami nannten. Ein bisschen befremdend fand Lidia Künzle das zuerst schon. Aber dann sagte sie sich:
Es zeigt halt einfach, dass meine Kinder sich bei Céline Bischof wirklich wohlfühlen.
Was es braucht, damit sich die Kinder wohlfühlen, das weiss das Tagesmami Céline Bischof nicht nur aus ihrer Erfahrung als Mutter. In Kursen eignete sie sich auch Fachwissen an.

Eine Meldepflicht und manchmal eine Bewilligung

Manche Tagesfamilien arbeiten auf privater Basis, andere sind von einer Vermittlungsagentur angestellt, etwa einem Verein. Céline Bischof arbeitet für den Verein Tagesfamilien Toggenburg. Dieser erledigt für Bischof die administrativen Aufgaben und bezahlt ihren Lohn inklusive Sozialversicherungen. Und er sorgt für eine angemessene Ausbildung. Als Céline Bischof anfing, als Tagesmutter zu arbeiten, besuchte sie einen fünftägigen Grundkurs des Verbandes Kinderbetreuung Schweiz (Kibesuisse). Seither macht Céline Bischof jedes Jahr eine eintägige Weiterbildung. So schreibt es der Verein Tagesfamilie Toggenburg vor.

40 Tagesfamilien, 125 Tageskinder

Der Verein wurde Mitte der 90er-Jahre gegründet. Damals betreuten «wenige» Tagesmütter neun Tageskinder. Gut 27 Jahre später sind es 125 Tageskinder in 40 Tagesfamilien. In den letzten Jahren sei die Anzahl Tagesfamilien jedoch gesunken, während die Anzahl Kinder zugenommen habe, sagt Frei. Das zeigen auch die Zahlen des Vereins: 2016 hatte der Verein 55 Tagesfamilien angestellt, also 15 mehr als heute. Betreut wurden 15 Kinder weniger als heute. Über die Gründe für diese Entwicklung kann Elisabeth Frei nur mutmassen: «Vor zehn Jahren gingen hier im Toggenburg wohl deutlich weniger Frauen arbeiten als heute. Und wenn, dann arbeiteten sie in kleinen Pensen.» Heute ist also die Nachfrage nach einer externen Kinderbetreuung grösser. Zugleich fehlt es an Familien, in denen jemand zu Hause bleibt und fremde Kinder betreut.

Mit Flyern gegen den Mangel ankämpfen

Den Verein setzt diese Entwicklung unter Druck. In einer Aktion sucht er dringend neue Familien oder Personen, welche Kinder betreuen: «Es soll schliesslich nicht plötzlich heissen, dass wir keine Tagesfamilien mehr vermitteln können», so Frei. Fehlendes Personal bei der externen Kinderbetreuung – ein Problem, mit dem die gesamte Branche zu kämpfen hat. Häufig kommt dabei auch der tiefe Lohn von Betreuungspersonen zur Sprache. Doch gemäss Elisabeth Frei ist das kein Grund für die fehlenden Tagesfamilien im Toggenburg. Sie sagt:
Eine Betreuungsperson erhält bei uns 8.50 Franken pro Kind und Stunde. Das ist mehr als der Grundlohn, welchen Kibesuisse empfiehlt.

Nicht bloss wegen des Geldes

Für Céline Bischof, die früher als Kaufmännische Angestellte tätig war, ist ihr Einkommen als Tagesmutter «ein Batzen dazu», wie sie es formuliert. Weil ihr Mann im sozialen Bereich in einer leitenden Position arbeitet, sind sie nicht auf ein zweites Einkommen angewiesen. Bischof hat sich auch nicht bloss wegen des Geldes für diese Arbeit entschieden:
Als mein zweiter Sohn zur Welt kam, war für meinen Mann und mich klar, dass wir unsere Kinder nicht fremd betreuen lassen wollen.
Die Tagesfamilien-Lösung passe gut für ihre Familie.