«Liebe Ärztinnen und Ärzte, es reicht», W&O-Print-Ausgabe vom 8. Juni
Der Artikel von Francesco Benini stellt einen komplexen Sachverhalt faktisch falsch dar. Gleichzeitig bleibt ein wesentlicher Faktor für die Prämienteuerung unerwähnt.
Die Tatsache, dass viele Eingriffe, die früher stationär erfolgten (mit Übernachtung), heute ambulant (ohne Übernachtung) stattfinden – während sich die Kantone weiterhin nur bei stationären Eingriffen mit 55 Prozent an den Kosten beteiligen, und die ambulanten Behandlungen weiterhin zu 100 Prozent von den Prämienzahlern getragen werden. Die Ärzteschaft setzt sich deshalb für die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen ein.
Stand heute würde niemand das Schweizer Gesundheitssystem als Zweiklassenmedizin bezeichnen. Insbesondere in der ambulanten Medizin gibt es bei uns keinen Unterschied zwischen allgemeinversicherten oder (halb-) privat versicherten Patienten. Jeder Mensch ist vor dem Hausarzt und dem niedergelassenen Spezialisten gleich viel «wert».
Dies ist in Ländern, wo mit den falschen regulatorischen Instrumenten bereits interveniert wurde, nicht mehr so. In Deutschland zum Beispiel arbeiten Ärzte für die besonders kranken Patienten, die ihren Behandlungskredit bereits ausgeschöpft haben, – wenn überhaupt – gratis, während das entstehende Einnahmedefizit – politisch scheinbar völlig legitim – via Überbehandlung weniger kranker Patienten querfinanziert wird.
Ein derartiger Zustand ist nicht nur gesundheitsökonomisch und medizinisch pervers, sondern für die Patienten beider Kategorien mitunter gefährlich. Eine Folge davon ist, dass die Patienten, die es sich leisten können, in private Versicherungsmodelle flüchten, welche auch für die behandelnden Ärzte sehr lukrativ sind.
In Deutschland unterscheidet der Ärzte-Jargon deshalb zwischen «Kassenpatienten» und «Privatpatienten». Die Bezeichnungen stehen für zwei verschiedene Klassen von Patienten – welcher Ausdruck diese Art von Medizin am besten beschreibt, kann sich jede Schweizerin und jeder Schweizer selber ausdenken.
Dr. med. Christian Hagne, Sax, Vizepräsident Ärzteverein Werdenberg-Sarganserland