Markus Büchel hat die Jugendarbeit in Buchs und in der Region aufgebaut und während mehr als 20 Jahren massgeblich mitgeprägt. Ende Monat wechselt er die Stelle, er wird Geschäftsführer der Offenen Jugendarbeit Liechtenstein. Im Interview blickt er auf Höhepunkte zurück. Die Ereignisse und Turbulenzen im Jahr 2021 wollte er dabei bewusst nicht noch einmal ansprechen.
Sind Sie eigentlich durch Ihren Job sozusagen ein Berufsjugendlicher?
Markus Büchel: Nein, aber kraft meines Amtes liegen mir Themen und Anliegen der Kinder und Jugendlichen extrem am Herzen.
Als Sie 2001 als Jugendarbeiter in Buchs begonnen haben, war das eine «One-Man-Show»?
Das stimmt nicht ganz, denn Karin Gloor hatte, damals noch ehrenamtlich, bereits im Jugendhaus am Seeli gearbeitet. Sie wurde dann Praktikantin und schliesslich Mitarbeiterin des KOJ. Und sie ist uns bis heute erhalten geblieben.
Derzeit beschäftigt das KOJ 16 und teilweise sogar noch mehr Leute, das war damals wohl unvorstellbar?
Genau, wie gross alles wird und was damit auf mich zukommt, das war vor 2001 noch nicht absehbar.
Wie war in den Anfängen die Akzeptanz der Jugendarbeit bei den Behörden?
Sie war von Anfang an gut. Gemeinderat Peter Sutter war damals Jugendbeauftragter in Buchs und er war, zusammen mit den übrigen Jugendbeauftragten, die treibende Kraft für den Aufbau des KOJ. Peter Sutter war total offen für die Anliegen der Jugendlichen.
Peter Sutter war also ein Glücksfall?
Auf jeden Fall, er war ein Visionär. Für mich war damals unvorstellbar, was wir dereinst alles erreichen würden, doch Peter hatte den Weitblick dazu. Insbesondere auch bezüglich der Schulsozialarbeit.
Die Zeit war reif für die offene Jugendarbeit?
Sie war sogar überreif. Auslöser war die massive Gewalt 1998/1999. In der Buchser Bahnhofstrasse waren krasse Leute unterwegs. Andererseits haben die Jugendlichen aus dem Werdenberg die Jugendtreffs im Liechtenstein geflutet. Auch dadurch entstand Druck, im Werdenberg endlich etwas zu unternehmen. Und so startete dann die besagte «One-Man-Show» mit einem 60-Prozent-Pensum.
Mehr als 20 Jahre sind für Sie daraus geworden.
Damals konnte ich mir nicht vorstellen, dass man überhaupt so lange und älter als etwa 40-
jährig in der Jugendarbeit tätig sein kann.
Wie schafft man es also, als 49-Jähriger mit ergrauenden Haaren, die Jugend noch immer zu verstehen?
Das schafft man, wenn man die Jugendlichen Ernst nimmt, wenn man Kindern und Jugendlichen wirklich zuhört und sich auf ihre Lebenswelt einlässt. Unsere ehemalige Jugendarbeiterin Monika Schwendener hat mir bewiesen, dass es geht. Sie war von Anfang an dabei und Jugendarbeiterin bis zu ihrer Pensionierung. Die Jugend zu verstehen, hat mit dem Alter nichts zu tun, sondern mit der Fachlichkeit und der Professionalität. Und mit der Freude, sich auf Jugendliche einzulassen.
Offene Jugendarbeit ist Arbeit an der Front. Wie stark ist der KOJ-Stellenleiter noch an der Front tätig?
Meine Stelle hat sich enorm gewandelt. Ich bin inzwischen nicht mehr der Mister Jugendarbeit und auch nicht mehr so nahe bei den Jugendlichen wie meine Mitarbeitenden. Ein gros-ser Teil meiner Arbeit ist das Coaching der Mitarbeitenden. Und ich muss die Strukturen schaffen, damit sie ihren Auftrag erfüllen können. Aber ich bin natürlich auch noch bei Projekten und im aufsuchenden Bereich in direktem Kontakt mit Jugendlichen.
In Buchs kennt also nicht mehr jeder Jugendliche den Markus vom KOJ?
Das ist so. Kürzlich war ich bei den offenen Hallen. Da haben mich Jugendliche mit Sie angesprochen.
Per Sie! Da hat man ja als Jugendarbeiter abgedankt.
(Markus Büchel lacht) Ja genau. Aber ernsthaft: Ich kenne diese Leute einfach nicht mehr so wie früher. Nach einer Stunde war es jedoch anders und alle haben mich mit Du angesprochen.
Sind die heutigen Jugendlichen, wie oft gesagt wird, ohne Leistungsbereitschaft und Durchhaltewillen?
Ich bin gegen Pauschalaussagen. Der oder die Jugendliche gibt es nicht. Ich nehme viele aktive und engagierte Jugendliche in der Region Werdenberg wahr, die sich einsetzen und dranbleiben. Ein gutes Beispiel dafür ist der Jugendpark. Aber natürlich gibt es auch faule und destruktive Jugendliche, wie übrigens schon 2001, als ich hier begonnen habe.
Was beschäftigt heute die jungen Menschen?
Ich stelle eine gewisse Zukunftsverdrossenheit statt. Sie fragen sich: Wofür mache ich überhaupt noch eine Ausbildung? Der Krieg und die Klimakrise schweben wie über allem. Es ist nicht mehr jene Aufbruchstimmung wie zur Zeit, als wir jung waren und alles plötzlich möglich wurde. Die Jugendlichen spüren Grenzen.
Hat Corona einen Einfluss?
Auf jeden Fall. Für Menschen im Seniorenalter und Jugendliche war das eine sehr harte Zeit. Die fehlenden sozialen Kontakte, die sich durch die Schutzmassnahmen ergaben, waren markante Einschnitte im alltäglichen Leben. Insbesondere die Jugendlichen haben in diesen zwei Jahren viel verpasst.
Nervt Sie eigentlich etwas an der heutigen Jugend?
Sie haben mich natürlich auch manchmal zur Weissglut gebracht. Wenn ich mich aber etwas zurückgenommen und alles fachlich beurteilt habe, dann bleibt definitiv nichts übrig, das mich genervt hat.
Wie hat sich die Arbeit des KOJ verändert?
Gar nicht so stark. In den Anfängen wurden nämlich die Weichen richtig gestellt. Insbesondere mit der Dezentralisierung. Wichtig finde ich auch, dass die Schulsozialarbeit, die von Anfang an aufgebaut wurde, beim KOJ angegliedert ist. So kann die Neutralität und Unabhängigkeit von der Schule gewährleistet werden. Das hat schon Peter Sutter, der ja Lehrer war, so postuliert. Insgesamt hat sich die Arbeit in den 20 Jahren also gar nicht grundlegend verändert. Die Befürchtung in Buchs war anfänglich, dass wir Randgruppenarbeit betreiben würden. Wir haben bewiesen, dass dies nicht so ist. Neu hinzu kamen die Einführung des Qualitätsmanagements und 2009 die aufsuchende Jugendarbeit. Und natürlich wurde das KOJ sukzessive ausgebaut und professionalisiert.
Gibt es Leuchtturmprojekt?
Für mich ganz klar der Aufbau und der schnelle Ausbau der Schulsozialarbeit. Stolz bin ich auch auf unsere Orientierung an den Bedürfnissen der Jugendlichen, die wir seit vielen Jahren mit Bedürfnisanalysen ermitteln. Und natürlich auf den Kinder- und Jugendtag und die künftig breite regionale Abstützung der Jugendbaustelle.
Wie ist das KOJ bei Ihrem Abgang aufgestellt?
Sehr, sehr gut, würde ich meinen, und das nach turbulenten eineinhalb Jahren. Ich bin froh, dass die Mitarbeitenden und ich diese Zeit durchgehalten haben. Im KOJ Werdenberg gibt es übrigens im Branchenvergleich eine geringe Personalfluktuation. Und unsere gute Vernetzung in der Region ist sehr wertvoll in der täglichen Arbeit.
Fällt somit ihr Jobwechsel leicht?
Zuerst hatte ich schon etwas Mühe, loszulassen. Doch inzwischen bin ich so weit, dass ich es mit einem freudigen Gefühl tun kann. Denn ich hinterlasse ja keine offene Baustelle.
Sie geben nun Ihr «Kind» in andere Hände.
So ist es. Es gibt dazu eine wunderbare Metapher: Als ich im Jahr 2001 hier begonnen habe, war unser erster Sohn drei Monate alt. Er hat dieses Jahr sein Studium mit dem Bachelor abgeschlossen. Es ist nun also Zeit, dass er auf eigenen Füssen steht. Beim KOJ geht es mir ähnlich. Da ist in rund 20 Jahren auch etwas Grossartiges entstanden, doch jetzt muss es ohne mich auf eigenen Füssen stehen. Ausserdem eröffnet mein Wechsel dem KOJ sicher auch neue Perspektiven.
Sie werden Geschäftsführer der Offenen Jugendarbeit Liechtenstein, entspricht dies der Aufgabe beim KOJ?
Im Bereich der offenen Jugendarbeit ist es das Pendant zum KOJ. Die Schulsozialarbeit in Liechtenstein ist aber dem Schulamt unterstellt, das ist der Unterschied zur Situation im Werdenberg. Die operative Tätigkeit gehört nicht mehr zu meinem Stellenprofil, hier in Buchs habe ich noch zu 30 Prozent offene Jugendarbeit gemacht.
In Liechtenstein werden Ihnen die Jugendlichen aber nicht Herr Büchel sagen?
(Markus Büchel lacht) Genau, dort sagt man sich ja ohnehin Du.