Neophyten: Es braucht keine Ausrottung, sondern ein Gleichgewicht unter den Pflanzen | W&O

04.01.2022

Neophyten: Es braucht keine Ausrottung, sondern ein Gleichgewicht unter den Pflanzen

Der Agronom Robert Jörin aus Wildhaus fordert in seiner Stellungnahme Massnahmen gegen Neophyten im Sinne einer Regulierung.

Von Robert Jörin
aktualisiert am 28.02.2023
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Das Interview «Unsere Welt braucht Neophyten» im W&O vom 28. Dezember verharmlost die Probleme invasiver Arten für das Gleichgewicht in der Natur. Markus Kobelt plädiert dafür, dass Neophyten nicht ausgerottet werden dürfen. Wer mit Neophyten Erfahrung hat, weiss, dass ihre «Ausrottung» gar nicht möglich und auch nicht nötig ist. Ziel der Regulierung ist das Gleichgewicht unter den Pflanzenarten. Epidemische Ausbreitung des drüsigen Springkrautes Massnahmen sind erforderlich, wenn sich ein Neophyt derart stark ausbreitet, dass andere Arten verdrängt werden und keine Chancen mehr haben. Ein Beispiel ist das Berufskraut auf einer Fläche von einem Hektar am St. Johannerberg. Es hat in den letzten zwei Jahren alle anderen Pflanzen verdrängt. Die Biodiversität ging dabei verloren. Verloren ging auch die Artenvielfalt auf dem wertvollen, extensiven Wiesland. Es liegt in sehr steilem Gelände. Überall dort, wo eine maschinelle Bearbeitung nicht möglich war, mussten die Pflanzen von Hand ausgerissen werden. Der Aufwand hat sich gelohnt, erste Erfolge sind bereits sichtbar. Wenn wir so konsequent weiterfahren, können wir die Dominanz dieses Neophyten brechen und kommen dem Ziel eines artenreichen Gleichgewichts näher. Als wir vor drei Jahren begonnen haben, Neophyten zu regulieren, hat uns das drüsige Springkraut am stärksten in Anspruch genommen. Wir merkten rasch, dass wir diese Aufgabe nur mit vereinten Kräften meistern können. Eine Gruppe von 20 Leuten, über die ganze Gemeinde verteilt, beobachtet und bekämpft Neophyten in nächster Nähe. Alle sind vertraut mit den lokalen Verhältnissen, und die Wege sind kurz. Diese Organisation des Einsatzes ist robust, und wir arbeiten effizient.   Es ist uns gelungen, in den letzten zwei Jahren den Bestand um bis zu 50 Prozent zu reduzieren. Nach einer Phase der Verdrängung ist das Waldspringkraut wieder aufgewachsen, das zur angestammten Pflanzengesellschaft gehört. Ähnliche Resultate haben wir auch bei der Goldrute, bei der Hausbewohner und Besitzer selber Hand anlegten. Schwieriger ist die Bekämpfung des Japanischen Knöterichs. Er ist besonders hartnäckig, und wir müssen neue Methoden zur Bekämpfung entwickeln.

Gefährliche Neophyten: der Riesenbärenklau

Der Riesenbärenklau scheidet einen Saft aus, der bei einer Berührung die Haut ätzt. Das kann zu einer Verbrennung ersten Grades führen, in schweren Fällen sogar zweiten Grades. Besonders für Kinder ist der Riesenbärenklau eine Gefahr und muss deshalb bekämpft werden. Wir konzentrieren uns auf Gärten und Wanderwege. Wir tun es also auch für unsere Gäste, die seit Ausbruch von Corona das oberste Toggenburg besonders gerne besuchen. Hautätzungen können den Ferienaufenthalt ernsthaft trüben. Wichtig ist beim Riesenbärenklau, dass man ihn in einem frühen Stadium erkennt. Bleibt er unentdeckt, kann er in kurzer Zeit zu einer Riesenpflanze von über zwei Metern Höhe aufwachsen. Sein Name kommt nicht von ungefähr. Die Beseitigung ist dann sehr aufwendig und erfordert eine besondere Schutzbekleidung.

Neophytenregulierung in Quellgebieten

Neophyten verbreiten sich vor allem entlang von Gewässern. Die Gemeinde Wildhaus-Alt St. Johann liegt im Quellgebiet von Thur und Simmi. Wir tragen deshalb eine besondere Verantwortung gegenüber unseren Nachbargemeinden talabwärts. Wir müssen konsequent und systematisch vorgehen. Eine eigens dafür eingerichtete Datenbank enthält alle Massnahmen im gesamten Gemeindegebiet. Wir sind an über 60 Standorten im Einsatz. Mit jedem Jahr kommt neue Information dazu und ermöglicht uns, die Entwicklung in einem grösseren Zeitraum zu verfolgen und zu beurteilen. Der Jahresbericht über unsere Tätigkeit wird auf der Website unseres Vereins «Lebenswertes oberstes Toggenburg» (LoT) publiziert (www.verein-lot.ch/Berichte). Unterstützt werden wir vom Bauamt und von Experten, die uns mit Rat und Tat zur Seite stehen. Regelmässig treffen wir uns und halten Rückschau und machen das Programm für das kommende Jahr. Halten wir fest: Unsere Tätigkeit zielt nicht darauf ab, Neophyten auszurotten. Es geht darum, ein Gleichgewicht unter den Pflanzen zu erreichen. Massnahmen müssen dann ergriffen werden, wenn eine Art stark dominiert. Werden andere Pflanzen verdrängt, geht die Biodiversität verloren. Dr. Robert Jörin Agronom, Präsident des Vereins LoT, Wildhaus