Überraschend scheint ein Nebenschauplatz im Nachtrag zum St. Galler Planungs- und Baugesetz in der Kantonsratssession nächste Woche heftiger umstritten zu werden als die erwarteten Konflikte bei Grünflächen oder Ladestationen für Elektrofahrzeuge.
Von «Lochers Weilern» ist inoffiziell die Rede, gemeint der Vorschlag der vorberatenden Kommission unter Vorsitz von Walter Locher (FDP), in Weilerzonen Neubauten zuzulassen, «wenn sie nicht zu einer Ausdehnung des überbauten Gebiets führen».
Die Regierung hält nichts von diesem Ansinnen. Abgesehen davon, dass jede Neubaute auf einer bestehenden Freifläche innerhalb einer Weilerzone zu einer Ausdehnung des überbauten Gebiets führe, erweise sich eine solche Bestimmung als bundesrechtswidrig.
Bund intervenierte, Kanton verschärfte Praxis
Warum der Bund und der Kanton in den Weilern das Sagen haben, ist erklärungsbedürftig: Um solche Kleinsiedlungen zu erhalten, können sie im kantonalen Richtplan in die Weilerzone aufgenommen werden. Bei Bauvorhaben in dieser Nichtbauzone benötigen Gemeinden zur Baubewilligung die Zustimmung des Kantons; es gelten die eidgenössischen Vorschriften für das Bauen ausserhalb der Bauzone.
Für abweichende kantonale Regelungen bestehe «von vornherein keinerlei Raum», hält die Regierung fest.
Zwar können Gebäude in der Weilerzone umgebaut und erweitert werden, und auch Ersatzbauten seien grundsätzlich möglich.
Neubauten hingegen widersprächen dem Ziel, historisch gewachsene Weiler zu erhalten, schreibt die Regierung. Das Fazit der Regierung:
Neubauten in Weilerzonen sind nur zulässig, wenn sie landwirtschaftlich begründet oder standortgebunden oder einen Ersatzbau für eine bereits vorbestehende zonenfremde Baute darstellen.
Schwieriger und langwieriger Prozess
Bei der Genehmigung des Kapitels «Weiler» im kantonalen Richtplan pochte der Bund auf das neue Raumplanungsgesetz und forderte Anpassungen – für die St. Galler Regierung ein «schwieriger und langwieriger» Prozess, wie es heisst. So wies das Bundesamt für Raumplanung 2016 den Kanton darauf hin, dass Neubauten in Weilerzonen nicht mehr zulässig seien und «ein Ausweichen der Siedlungsentwicklung auf die Weiler vermieden werden soll».
Erst als die Weilerzone explizit als Nichtbauzone ohne Neubauten bezeichnet wurde, gab der Bund 2019 sein Einverständnis. Sollte der Antrag der vorberatenden Kommission angenommen werden, wäre der Richtplan erneut anzupassen, stellt die Regierung fest und mahnt an, dass der Bundesrat diese Änderung wohl nicht genehmigen werde.
Verwaltungsgericht pfiff Kanton zweimal zurück
Die Fraktionen von Mitte-EVP, SP und Grünen sehen es gleich wie die Regierung und lehnen den Vorschlag der Kommission kurz und knapp ab. Die Grünen sprechen von einem «rückwärtsgewandten Antrag der rechten Kommissionsmehrheit», der den «Bestrebungen zur Eindämmung der Zersiedelung diametral zuwider» laufe.
Noch nicht verlauten lassen haben sich FDP und SVP, die allerdings anderer Meinung sein dürften und beim «überbauten Gebiet» in Weilern den Interpretationsspielraum ausschöpfen wollen. Kommissionspräsident und Hauseigentümerverbandspräsident Walter Locher kennt diesen Spielraum offenbar genau: Er hat als Rechtsanwalt zweier Bauherren in einem lang umstrittenen Fall im Sennwalder Weiler Büsmig vom Verwaltungsgericht Recht erhalten, wonach ihre Neubauten auf Baulücken zulässig seien.
Ob der FDP-Kantonsrat diese und allfällige andere Mandate in Sachen Weiler-Neubauten in der Kommission offengelegt hat, ist fraglich – Locher verweist aufs Kommissions- und aufs Anwaltsgeheimnis.
Ein «Auslaufmodell» beurteilt
Laut der Regierung ändern die Urteile des Verwaltungsgerichts nichts am künftigen Verbot von Neubauten in Weilerzonen. Das Gericht habe mit Blick auf die veralteten, aber noch gültigen kommunalen Bestimmungen ein «Auslaufmodell» beurteilt, nach dem Neubauten «derzeit noch möglich» seien.
Daraus könne man aber nicht schliessen, dass in künftigen Baureglementen weiterhin solche bundesrechtswidrigen Bestimmungen aufgenommen und vom Kanton genehmigt werden, nur weil dafür im Baugesetz eine unzulässige Rechtsgrundlage geschaffen wird.
Im Fall Sennwald hat der Kanton Ende Dezember die Baubewilligungen erteilt.
Inzwischen legt er seine Entscheide jeweils dem Bundesamt für Raumentwicklung vor, das allerdings keine Behördenbeschwerde erhoben hat und in diesem Fall den Verweis auf die «alte» Rechtsordnung und die Lücken im überbauten Gebiet akzeptiert.
Ein Fall für die Ortsplanung
Was umgangssprachlich in der Bevölkerung als Weiler gilt, ist baugesetzlich nicht immer ein Weiler. Der Kanton St. Gallen hat in seinem Richtplan 59 Kleinsiedlungen bezeichnet, die den fünf Kriterien eines Weilers entsprechen: landwirtschaftliche Gebäude, geschlossene Baugruppe, klare Abtrennung zur nächsten Siedlung, mindestens fünf ganzjährig bewohnte Gebäude, genügende Erschliessung.
Welche Kleinsiedlung in die Weilerzone aufgenommen wird, ist den Gemeinden und ihrer Ortsplanung überlassen. 21 Gemeinden haben davon Gebrauch gemacht, sodass von den 59 Kleinsiedlungen nun 38 der Weilerzone zugeteilt sind.
Manche Gemeinden peilen für ihre Weiler lieber die Landwirtschaftszone an. Oder sie bevorzugen die Kernzone, wie es etwa Sennwald tut – die Prüfung sei dort im Gang, heisst es.