«Nun ist die Politik gefordert» – so das Fazit des Anlasses «Pflegen bis zum Kollaps?» | W&O

19.01.2023

«Nun ist die Politik gefordert» – so das Fazit des Anlasses «Pflegen bis zum Kollaps?»

Öffentlicher Anlass im Spital Grabs zur Umsetzung der Pflegeinitiative zeigt: Es braucht jetzt Sofortmassnahmen.

Von Hanspeter Thurnherr
aktualisiert am 28.02.2023
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Pflegen bis zum Kollaps? So lautete der Titel des Anlas­ses am Dienstagabend im Spital Grabs. Die gute Nachricht: Viele der Referentinnen, Podiumsteilnehmenden und im Publikum anwesenden Pflegefachkräfte finden den Pflegeberuf «den schönsten der Welt». Aber: der Pflegefachkräftemangel erfordere Sofortmassnahmen. Nach der Annahme der Pflegeinitiative im November 2021 habe der Bundesrat entschieden, sie in zwei Etappen umzusetzen, wie Nationalrätin und Ständeratskandidatin Barbara Gysi in ihrem Referat erklärte. Im ersten Paket soll es eine Ausbildungsinitiative von Bund und Kantonen geben, für die knapp eine Milliarde Franken bereitgestellt werden soll. Paket zwei soll die Arbeitsbedingungen, Personaldotation, Finanzierung der Pflegeleistungen und den kompetenzgerechten Einsatz regeln. Deren Eckwerte sollen bis Ende Januar vorliegen.

Kanton hat bisher keine finanziellen Mittel geplant

Handeln müssten jetzt auch die Kantone, indem sie Gesetze zur Umsetzung erarbeiten, Ausbildungskapazitäten und Finanzmittel bereitstellen sowie eine Ausbildungsverpflichtung für die Betriebe gesetzlich festhalten. St. Gallen habe den Projektauftrag zwar verabschiedet, aber bisher keine finanziellen Mittel geplant und nur einen Teuerungsausgleich von 1,5 Prozent für 2023 beschlossen. Für Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des Schweizerischen Berufsverbands der Pflegefachfrauen und -männer (SBK) ist es wichtig, die Pflegenden im Beruf zu halten. Denn es fehlten Tausende von Pflegefachkräften. Besonders dramatisch: Die Ausstiegsquote liege schon bei den 20- bis 24-jährigen Pflegefachpersonen bei 36 Prozent. Sie forderte sofortige Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Konkret sind es fünf Massnahmen: bei Arbeitszeit/Löhnen, Zulagen, Ferien, Erfassung der Ar­beitszeit (Umkleidezeit) und Zuschüsse für familienergänzende Kinderbetreuung.
Die Wertschätzung unserer Arbeit ist der Boden für alles.
Aber auch Zeit haben für Patienten sowie für Erholung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Geld seien wichtige Säulen.

Pflegende zurückgewinnen mit neuen Arbeitsmodellen

In der Podiums- und Publikumsdiskussion unter der Moderation der Grabser Gemeinde- und Kantonsrätin Katrin Schulthess nannte Manuela Ortner, Leitung Ressort Pflege MTT am Spital Grabs, neue Arbeitsmodelle (zum Beispiel halbtageweises Arbeiten) als konkrete Massnahmen, um in Grabs Pflegende zu halten oder gar zurückzugewinnen. Wertschätzung sei auch darum wichtig, weil die Mitarbeitenden ein tolles Team und gute Chefs wollen – «und diese Leute haben wir hier. Ich erlebe auch die Lernenden motiviert». Beim Lohn gebe es eine Diskrepanz zu Ungunsten der lang­jährigen Mitarbeitenden. Denn es fehle «hinten und vorne» das Geld für Verbesserungen. Das Dilemma sei aber erkannt.
 Der Anlass fand im Spital Grabs statt.
Der Anlass fand im Spital Grabs statt.
Bild: Archiv
Horst Hilger-von Arx, Stellvertretender Fachbereichsleiter HF Pflege am Berufs- und Weiterbildungszentrum für Gesundheits- und Sozialberufe in Sargans, sagte, anfangs seien die Studierenden enthusiastisch. Nachher folge oft die Ernüchterung wegen der Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis.

Personalsuche auch bei Spitex immer schwieriger

Beatriz Hardegger Lado, Co-Leiterin der Spitex Sennwald, sagte:
Wertschätzung ist im täglichen Betrieb da. Da bekommt man schon mal einen Dank von den Patienten. Was fehlt, ist die Wertschätzung in der Gesellschaft, wo man als ‹Fudiputzer› abgestempelt wird.
Die Per­sonalsuche werde bei der Spi­tex immer schwieriger, es gebe kaum Bewerbungen. Yvonne Ribi ergänzte: «Wir haben in der Pflege regulierte Löhne. Es besteht kein Markt. Der Mangel an Fachkräften führt daher nicht zu höheren Löhnen. Da ist die Politik gefordert.» Gemäss Barbara Gysi ist dies nicht einfach: «Wir müssen Sofortmassnahmen finanzieren und Geld in Festan­gestellte investieren. Doch der Kanton St. Gallen hat diesbezüglich schlecht reagiert.»

Das Publikum diskutierte mit

Aus dem Publikum kam die Feststellung, dass es für Quereinsteiger finanziell schwierig und die Situation für Pflegende seit Jahren frustrierend sei, weil sich kaum etwas verändert habe. Andererseits wurde bemängelt, dass die Pflegesituation in den Medien zu negativ (Stichwort: Qualitätsverlust) dargestellt wer­de, was den Pflegenden nicht gerecht werde. Bettenschliessungen hätten genau das Ziel, dass die Pflegequalität erhalten werden könne. Abschliessend äusserte Manuela Ortner zwei Wünsche:
Cash von der Politik und dass wir die Schwierigkeiten positiv angehen.