Am 28. November stimmt die Schweiz über die Pflegeinitiative ab. Verschiedene Umfragen im Vorfeld deuten auf eine Annahme der Vorlage hin. Doch auch bei der Pflegeinitiative gibt es gegensätzliche Sichtweisen. Der W&O lässt in der heutigen Ausgabe zwei Menschen aus der Region in einem Pro & Contra zu Wort kommen.
Die diplomierte Buchser Pflegefachfrau Annemarie Rohrer beschreibt aus persönlicher Sicht den Arbeitsalltag des Pflegepersonals. Dieser werde zunehmend zu einer Belastung, weil der Druck, der Zeitmangel, die Verantwortung und Personalausfälle zu einer untragbaren Situation geworden sind. Sie plädiert für eine Annahme der Initiative, um «eine kompetente, verantwortungsvolle und menschliche Pflege zu gewährleisten.
Der Seveler SVP-Kantonsrat Mirco Rossi lehnt die Initiative ab, weil er ein «ungebremstes und unverantwortliches Kostenwachstum» befürchtet. Der Gegenvorschlag hingegen enthält aus seiner Sicht alle Elemente der Pflegeinitiative, die auf Bundesebene umsetzbar sind. Er bezweifelt, dass die Bundesverfassung der richtige Ort ist, um einen Berufsstand zu verankern bzw. zu fördern.
Pro: «Umfeld gesunden und befreien»
Seit meinem Schichtbeginn habe ich noch kein Glas Wasser getrunken, auch für die Toilette gab es keine Zeit. Meine Suppe in der Mikrowelle ist wieder abgekühlt, die Essenspause bleibt wie so oft ausstehend. Also stopfe ich mir schnell im Aufenthaltsraum ein Stück Brot in den Mund, stürze den Rest Wasser im Glas runter. Mehr liegt nicht drin, es klingelt schon wieder.
Wie hat sich doch in den letzten Jahren der Druck in der Pflege erhöht. Wenn es früher vielleicht einmal wöchentlich vorkam, dass ich ausgelaugt vom Dienst heimkam, ist es heute oft täglich.
Der Stress, das grosse Arbeitspensum mit zunehmend hoher Verantwortung und die unbefriedigende zeitliche Zuwendung an Menschen, lassen den Pflegeberuf immer mehr an die Grenzen der Belastbarkeit stossen.
Meine jüngeren Arbeitskolleginnen, teilweise frisch diplomiert, leiden alle unter denselben Problemen. Geschweige die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die vor der Pensionierung stehen oder schon pensioniert sind. Sie sind oft am Ende ihrer Kräfte durch den ewigen Zeitdruck, die immer wiederkehrenden Anrufe in der Freizeit, um Ausfälle von Teammitgliedern abzufedern. Dazu kommen die körperlichen Belastungen wegen Früh-, Spät- und Nachtdienst.
Das Arbeitsumfeld für die Pflegenden muss wieder gesunden und befreit werden von permanentem Stress und Zeitdruck. Nur so können die vielen Berufsaussteigerinnen und Berufsaussteiger reduziert werden und die hohe Pflegequalität erhalten bleiben.
Die Arbeitsbedingungen und der Lohn müssen in einem ausgeglichenen, gerechten Verhältnis stehen.
Die Lernenden brauchen Zeit, Motivation, Vorbilder und gute Unterstützung, um diesen wunderbaren Beruf mit Engagement, Freude und auch Standhaftigkeit auszuführen.
Ich möchte an dass Stimmvolk appellieren: Damit eine kompetente, verantwortungsvolle und menschliche Pflege weiterhin gewährleistet werden kann, ist ein Ja für die Pflegeinitiative essenziell.
Contra: «Gegen ungebremste Kosten»
Ist die Bundesverfassung der richtige Ort, um einen Berufsstand zu verankern beziehungsweise zu fördern? Ich finde Nein und unterstütze daher den Gegenvorschlag. Der Erfüllungsgrad dürfte dank der sofortigen Inkraftsetzung der beschlossenen Massnahmen bei einem Nein zur Initiative sogar grösser und wirkungsvoller sein zur Problemlösung als die Initiative selbst.
Bei einem Ja zur Initiative würde die Diskussion zur Umsetzung mit ungewissem Ausgang von vorne beginnen und entsprechend der Vorgabe im Initiativtext bis zu vier Jahre dauern.
Der Gegenvorschlag enthält alle Elemente der Pflegeinitiative, die auf Bundesebene umsetzbar sind. Es handelt sich de facto bereits jetzt um das Umsetzungsgesetz zur Pflegeinitiative. So ist etwa eine Milliarde Franken an Unterstützungsgeldern an die Aus- und Weiterentwicklung von Pflegefachpersonen vorgesehen.
Zudem hat das eidgenössische Parlament im Gegenvorschlag dafür gesorgt, dass sich die Kostensteigerungen für die Prämienzahler in Grenzen halten. So werden die Verbände der Leistungserbringer mit den Versicherern angehalten, Verträge zur Überwachung der mengenmässigen Entwicklung der Pflegeleistungen, die ohne ärztliche Anordnung erbracht werden, abzuschliessen. Demgegenüber müsste mit der Initiative ohne diese Einschränkung mit einem ungebremsten Kostenwachstum gerechnet werden. Das wäre nicht zu verantworten.
Die Pflege kann also nur mit einem Nein zur Pflegeinitiative rasch und wirkungsvoll gestärkt werden, weil dann der Gegenvorschlag in Kraft tritt.
Ob bei einem Ja zur Initiative je die gleiche Wirkung erzielt werden kann, ist offen – und dies möglicherweise unter nicht vertretbarer Kostenfolge.
Nach dem Motto «Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach» stimmt am 28. November Nein zu dieser Initiative, wer einerseits die Pflegenden unterstützen will und andererseits gegen ein ungebremstes Kostenwachstum in unserem Gesundheitsbereich ist.