Ramona Eggenberger ist chronisch depressiv: «Diese Krankheit nimmt mir einfach alles» | W&O

18.11.2022

Ramona Eggenberger ist chronisch depressiv: «Diese Krankheit nimmt mir einfach alles»

Die 37-jährige Buchserin Ramona Eggenberger hat das Buch «Chronisch depressiv. Krank sein als Frau und Mutter» verfasst. Seit 17 Jahren prägt die Krankheit ihren Alltag.

Von armando.bianco
aktualisiert am 28.02.2023
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«Ich heisse Ramona, bin 37 Jahre alt, bin depressiv und das seit nunmehr 17 Jahren. Ich lebe damit mal schlechter, mal besser, eher schlechter, verständlicherweise. Das Elend, das Leid, die Verzweiflung und die Qualen, die diese Krankheit in mir auslöst, ist eigentlich unbeschreiblich. Und trotzdem habe ich es versucht. Ich möchte aufklären, ich will Sichtbarkeit erreichen, für mich und meine vielen, vielen stillen Mitleidenden. Vor allem aber für meine Tochter und die anderen Kinder psychisch kranker Eltern. Niemand soll sich ihrer und meiner schämen müssen. Deshalb erzähle ich meine Geschichte, deshalb bin ich hier!» So leitet Ramona Eggenberger aus Buchs, verheiratet und Mutter einer Tochter im Teenager-Alter, ihre Geschichte in ihrem Buch ein. Wie geht es Ihnen am heutigen Tag? Ramona Eggenberger: Seit Juli bin ich wieder in relativ schlechter Verfassung. Meine Krankheit verläuft wellenmässig. Heute geht es mir einigermassen gut, ich bin jedenfalls gut gestartet. Wird der gute Zustand heute anhalten? Das kann man nicht sagen, es kann jederzeit umschlagen. Was passiert dann? Die Konzentration kippt, ich werde kraftlos und lande auf der Couch. Wie sieht ein komplett schlechter Tag aus? Es entstehen Zustände, die man nicht ertragen kann, die das Menschenmögliche und jede Vorstellung übersteigen. Die Löcher sind dann sehr, sehr tief. An so einem Tag werde ich erfasst von einer wahnsinnigen Antriebslosigkeit. Gilt das nur für die Psyche? Oder auch für den Körper? Bei mir gibt es zwei Komponenten: Den Körper und die Psyche. Beide korrelieren stark. Geht es mir körperlich schlecht, geht es mir dafür mental besser. Und umgekehrt. Wenn ich wählen könnte, würde ich mich dafür entscheiden, dass es meiner Psyche besser geht, denn mit dem anderen kann ich besser leben. Erinnern Sie sich an den Tag, an dem Ihnen die Krankheit bewusst wurde? Mein Arzt hat mir die Diagnose eröffnet, dass ich unter Depressionen leide. Aber das wollte ich natürlich nicht hören. Meine Krankheit ist ein Teil meiner Familie. Meine Grossmutter war depressiv, ebenso mein Vater. Wann konnten Sie die Krankheit annehmen? Das hat schon eine Weile gedauert, weil ich nicht damit gerechnet habe, dass es so eine lange Geschichte werden wird. Zuerst dachte ich, das wäre vorübergehend. Aber ich habe mich bis heute nicht davon erholt. Sie waren 20 Jahre ein gesunder Mensch, dann wurden Sie psychisch krank. Kennen Sie den Auslöser? In erster Linie sind es genetische Faktoren. Stellen Sie sich einen Stuhl mit vier Beinen vor, der auf einer rutschigen Unterlage, meine Genetik, steht. Dann bricht ein Bein nach dem anderen weg. Als ich krank wurde, ist meine Beziehung auseinandergebrochen, im Job war ich überfordert. Vieles ist bei mir zusammengekommen. Ist Ihr Zustand über die Jahre hinweg besser oder schlechter geworden oder gleich geblieben? Er ist mit der Zeit schlechter geworden.
 Antriebslosigkeit, Müdigkeit, Traurigkeit und vieles mehr: Ramona Eggenberger aus Buchs hat ein Buch über chronische Depression geschrieben.
Antriebslosigkeit, Müdigkeit, Traurigkeit und vieles mehr: Ramona Eggenberger aus Buchs hat ein Buch über chronische Depression geschrieben.
Bild: Theres Schlienger
War das zu erwarten? Nein, zwischendurch gab es drei, vier Monate, in denen es mir besser gegangen ist. Mal war es besser, mal war es schlechter, aber richtig gut ist es nie mehr geworden. Was haben Sie alles gemacht, um gegen die Krankheit anzukämpfen? Ich habe mit verschiedensten Medikamenten und Therapieansätzen versucht, an dieser Krankheit «herumzudoktern». Seit fünf, sechs Jahren geht es mir aber tendenziell so schlecht, dass selbst die Medikamente nicht mehr helfen. Ich habe eigentlich alles gemacht, was irgendwie infrage kommt. Ich bin seit 17 Jahren auf der Suche nach der «Lösung». Haben Sie Methoden abseits der klassischen Schulmedizin ausprobiert? Am meisten genützt hat mir die Schulmedizin. Aber ja, ich habe komplett alles ausprobiert, alles Natürliche und Übernatürliche. Was heisst das mit Blick nach vorne? Es ist mir und meinem Umfeld klar, dass mich die Krankheit ein Leben lang begleiten wird. Diagnose «unheilbar»? Eigentlich schon, auch wenn das mein Psychiater nicht gerne hört. Es besteht eine Chance, dass sich mein Zustand mit zunehmenden Alter und der Hormonveränderung etwas zum Positiven verändern könnte. Aber ich rechne mir keine grossen Chancen aus. Ich habe gesehen, dass meine Grossmutter und mein Vater ihr ganzes Leben unter der gleichen Krankheit gelitten haben. Gibt es Dinge, welche die Chancen auf einen guten Tag erhöhen können? Nein, ich bin meiner Krankheit völlig ausgeliefert. Sie kommt oft wie angeworfen. Wie merken Sie das? Das kann mitten in einem Gespräch passieren oder in einer geselligen Runde. Plötzlich rauscht meine Stimmung in den Keller, alles verblasst, meine Welt wird grau. Es breitet sich eine tiefe Traurigkeit in mir aus, alles scheint sinnlos. Was verbaut die Krankheit Ihnen? Sie nimmt mir meine Freude am Leben, sie nimmt mir alles. Ein Leben mit einer Depression bedeutet, dass man anderen Leuten zuschaut, wie sie ihr Leben leben, an dir selbst zieht dein Leben aber einfach vorbei. Sind Sie enttäuscht von sich selbst? Sehr. Wieder habe ich es nicht geschafft, wieder ist mir die Krankheit bei etwas dazwischengekommen, hätte ich es nicht probieren sollen – solche Gedanken umkreisen mich. Nach vielen Jahren Psychotherapie fühlt es sich an, als hätte ich versagt. Gibt es an Ihrer Krankheit auch etwas Positives? Ich kann mit meiner Geschichte anderen Leuten helfen. Und ich bin anderen Menschen gegenüber empathischer geworden. Das ist aber auch schon alles. Wie waren Sie, als sie noch nicht krank waren? Fröhlich, offen, kommunikativ, umtriebig, aufgestellt, lebenslustig. Ich bin mir heute bewusst, dass es noch einen Teil gibt in mir, der gesund ist, der nicht einfach vollends verschwunden ist. Sie schreiben im Buch, dass die Krankheit jeden treffen kann. Auch die grösste Frohnatur? Ja, das ist so. Jeder fünfte Mensch erlebt einmal im Leben eine Depression unterschiedlicher Dauer. Nur ist es so, dass sich längst nicht alle ihres Zustands bewusst sind oder dazu stehen können. Doch nicht alle Depressionen sind behandlungsbedürftig. Viele können noch ohne Hilfe leben. Wer steht Ihnen zur Seite? Meine ziemlich grosse Familie. Meine Mutter, mein Mann, meine Tochter. Zudem erhalte ich regelmässig Besuch von einer psychiatrischen Spitex, ich bin beim Psychiater und aktuell in einer Kunsttherapie. Ich habe so meine Fixpunkte, an denen ich mich orientieren kann. Wie ist das, wenn Menschen Ihre Krankheit infrage stellen? Eigentlich bin ich es auch selbst, die das macht. Aber natürlich habe ich oft gehört, das alles sei doch nur eine Kopfsache. Eigentlich ist das ja auch so, mein Kopf ist krank. Während meiner beruflichen Tätigkeit hatte ich schon als junge Erwachsene Phasen mit Depression. Dort habe ich keine Milde mir gegenüber gespürt. Kennen Sie «Gleichgesinnte», denen es wie Ihnen geht? Nur ganz wenige. Ich bin nicht so sehr der Typ für Selbsthilfegruppen. Ich bin zu sensibel. Wenn ich die Geschichten anderer Menschen höre, ist es, wie wenn ich das Leid anderer aufsaugen würde. Ich kenne zwei, drei Menschen, die das gleiche erleben wie ich, mit denen ich mich auch austausche. Können Sie konkrete Pläne für die Zukunft schmieden? Nein, das ist völlig unrealistisch. Wenn ich mit meiner Familie Ferien plane, brauchen wir eine psychiatrisch beglaubigte Reiserücktrittsversicherung. Für mich macht es keinen Sinn, länger als drei Tage vorauszuschauen. Von der Solidarität überwältigt Ramona Eggenberger hat ihr Buch mit einem Crowdfunding finanziert. Von der Solidarität und dem Interesse der Öffentlichkeit war sie überwältigt. Das angestrebte Finanzierungsziel konnte um den dreieinhalbfachen Betrag übertroffen werden, sodass sie nun eine grössere Auflage als geplant realisiert hat. Das Schreiben des Buchs beschreibt sie als relativ einfachen Prozess, «weil ich es in meinem stillen Kämmerlein und in meinem Tempo machen konnte. Und: Das Buch war eigentlich schon in mir, ich musste es nur noch zu Papier bringen.» Vom ersten Satz bis zur Veröffentlichung dauerte es nur knapp ein halbes Jahr. Als anstrengend hingegen empfindet sie die Vermarktung und das ganze Drumherum. Rund die Hälfte des Werks dreht sich um ihre Krankheitsgeschichte. Die andere Hälfte besteht aus Kurzgeschichten, die einen berührenden, teils humorvollen Einblick in ihren Alltag geben. Ramona Eggenberger, «Chronisch depressiv. Krank sein als Frau und Mutter. ISBN 978-3-033-09385-0. Erhältlich bei der Buchhandlung «Books in Buchs» und im Internet unter der Adresse www.chronischdepressiv.com