Saisonrückblick Snowboarderin Julie Zogg: Zwischen Traum und Albtraum | W&O

31.03.2022

Saisonrückblick Snowboarderin Julie Zogg: Zwischen Traum und Albtraum

Im Weltcup geglänzt, bei Olympia versagt – die gebürtige Wartauerin schaut auf eine bewegte Saison zurück.

Von Reto Voneschen
aktualisiert am 28.02.2023
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In den Socken eilt Julie Zogg die Treppen hinunter, um die Türe zu öffnen. «Sorry, die Gegensprechanlage funktioniert nicht», entschuldigt sie sich sogleich. Die Tücken eines Neubaus, man kennt’s. Seit Anfang März ist Julie Zogg, aufgewachsen in der Gemeinde Wartau, wieder zurück in der Region. In Heiligkreuz haben sie und ihr Partner Christoph Hänggi eine passende Wohnung gefunden. Die 29-Jährige erklärt:
Ich wollte ursprünglich in die Bündner Herrschaft. Aber als wir dort nichts Passendes fanden, war für mich klar, dass ich zurück nach Mels will.
Auf der anderen Bahnseite bezog die gebürtige Wartauerin ihre erste eigene Wohnung und wurde später nach dem WM-Titel 2019 auf dem Dorfplatz wie eine Königin gefeiert. «Das vergess’ ich nie», sagt sie strahlend. Die letzten beiden Jahre wohnte Zogg in Davos, was vor allem im Winter trainingstechnisch von Vorteil war. Im Sommer geniesst die Fahrerin des SC Flumserberg aber im Sportzentrum Kerenzerberg hoch über dem Walensee Gastrecht. Darum entschied sich Zogg dann auch zur Rückkehr.

Frühes Aus im Achtelfinal

Die Hoffnung, als Olympiasiegerin ins Sarganserland zurückzukehren, zerschlug sich aber Mitte Februar. Als Weltcupzweite gehörte Zogg zum engeren Favoritenkreis, auch wenn immer ein grosses «Aber» mitschwang – in China wurde nur ein Parallel-Riesenslalom ausgetragen. Das Etikett der Slalomspezialistin haftet Zogg aber seit Jahren an. Dass sie auch im Riesenslalom nach vorne fahren kann, zeigte sie Anfang Jahr in Scuol, wo sie nur knapp nicht gewann. Doch bei den Olympischen Spielen zeigte sich die Grausamkeit des Alpin-Snowboardsports. Lumpige acht Hundertstelsekunden hinter der Deutschen Carolin Langenhorst fuhr Zogg im Achtelfinal über die Ziellinie. Aus der Traum und das schon in der ersten K.-o.-Runde. Das tränenreiche TV-Interview im Anschluss liess erahnen, wie es im Innern der sensiblen Sportlerin aussah.

Die Enttäuschung gut weggesteckt

«Es war brutal», sagt sie heute. Vier Jahre hatte die Teamleaderin für den Olympiatraum gelebt. Gehofft, dass sie mit Edelmetall für ein mediales Echo sorge. Für sich und den darbenden Snowboardsport in der Schweiz. Von einem Moment auf den anderen war der Traum zerplatzt. Doch ihre Welt zerbrach nicht. «Ich konnte es gut wegstecken», sagt sie rückblickend, «in unserem Sport gibt es so oft knappe Entscheidungen. Das muss man akzeptieren. Und bei Olympia reisen halt gefühlt 95 Prozent aller Teilnehmenden mit einer Enttäuschung nach Hause.» Doppelt bitter: Erstmals überhaupt blieben die Schweizer Alpin-Snowboarder ohne Medaillengewinn. Nach einem langen Gespräch mit dem Servicemann fand Zogg trotzdem den Schlaf und konnte danach noch zwei Tage Olympialuft schnuppern. Überhaupt sei die Atmosphäre im Olympischen Dorf viel angenehmer gewesen als vermutet. «Nur die Anreise war mühsam», so Zogg.
 In Berchtesgaden durfte Julie Zogg doppelt jubeln: Weltcupsieg und Gewinn der kleinen Kristallkugel.
In Berchtesgaden durfte Julie Zogg doppelt jubeln: Weltcupsieg und Gewinn der kleinen Kristallkugel.
Bild: Keystone

Versöhnliches Ende mit zwei Weltcupsiegen

Anders als ihre Nati-Kollegen reiste sie nach den Olympischen Spielen aber nicht an die Europacuprennen in Bakuriani (Georgien) weiter, wo im nächsten Jahr die WM ausgetragen wird. Julie Zogg erklärt:
Es wäre für mich unmöglich gewesen. Ich wollte unbedingt meine Liebsten wieder sehen.
Denn vor den Spielen mutierte Zogg zur Einsiedlerin, mied persönliche Kontakte so gut wie möglich und warf gar ihren Freund aus der gemeinsamen Wohnung. Auf keinen Fall sollte eine Covid-19-Ansteckung den Olympiatraum vermiesen. «Ich würde es rückblickend wohl anders machen», sagt Zogg heute, «wobei, so ganz sicher bin ich mir nicht.» Die kurze Auszeit vom Sport tat ihr aber gut. Einen Monat nach den Olympischen Spielen tankte Zogg im Europacup im Lachtal (Ö) wieder Selbstvertrauen und gewann zwei der drei letzten Weltcuprennen. Am Schluss fehlten ihr nur 17 Punkte zum zweiten Gewinn der grossen Kristallkugel. Dafür erhielt sie die fünfte kleine Kugel für die Parallelslalom-Wertung. Lachend hält sie fest:
Wenn ich in Scuol nicht kurz vor dem Ziel auf dem Hosenboden gelandet wäre, hätte es vielleicht für Rang eins gereicht.

Zwei Grossanlässe locken zum Weitermachen

Trotzdem sorgten die letzten Weltcuprennen für ein versöhnliches Ende der Saison. Drei Weltcupsiege – zehn sind es mittlerweile – schaffte Zogg zuvor erst in der Saison 2019/20. «Ja, das war wichtig», bestätigt sie.
 Erst mal ruht sich Julie Zogg aus, bevor die nächsten sportlichen Herausforderungen anstehen.
Erst mal ruht sich Julie Zogg aus, bevor die nächsten sportlichen Herausforderungen anstehen.
Bild: PD
Auch für den Blick in die Zukunft. «Ich mache weiter», verrät sie, «solange ich Spass am Sport habe und vorne mitfahre. Und der Spass kommt bei mir mit dem Erfolg.» Zogg verheimlicht auch nicht, dass sie die Heim-WM 2025 im Engadin und die Olympischen Spiele 2026 in Norditalien reizen. «Aber jetzt ist das noch so weit weg», teilt sie ihre Gedanken und ergänzt:
Die Jüngste bin ich nicht mehr.
Entscheidend sei auch, ob in vier Jahren in Cortina d’Ampezzo wieder ein Parallelslalom gefahren werde. Der Entscheid der italienischen Olympiaorganisatoren wird im Sommer erwartet.