Bald zwei Wochen ist es her, dass Jan Scherrer in der olympischen Halfpipe seinen «Switch Alley-oop Double Rodeo 1080 Indy to Nose» gezeigt hat. Einfacher: Seinen «Jan Tonic», die technisch anspruchsvolle Eigenkreation, die ihm Bronze einbrachte. Unterdessen sind die Feierlichkeiten im Heimatdorf Ebnat-Kappel vorbei, der 27-Jährige ist zurück in Zürich, wo er und seine Frau wohnen und sich aufs baldige Elternsein freuen. Am Telefon gibt er Auskunft.
Die Rückreise aus Peking ist nicht ohne Komplikationen vor sich gegangen, hört man.
Jan Scherrer: Ja, geplant war der Rückflug mit «Swiss», für mich als Medaillengewinner war ein Platz in der Businessklasse vorgesehen. Doch es kam anders, der Flug fiel aus, wir flogen dann mit «Air China» – und ich landete doch in der Holzklasse. (lacht)
Die Medaille flog im Handgepäck mit?
Ja. Die durfte mit. Ich hatte extra nachgefragt, ob es möglich sei – nicht, dass sie bei der Boardingkontrolle hängen bleibt.
Wie ist es Ihnen ergangen seit der Rückkehr? Oft ist vom Post-Olympia-Blues zu hören. Wenn Druck abfällt ...
Mir geht es bestens. Eines war aber tatsächlich speziell: Da der Weltcup schon zu Ende ist, war nach Olympia Saisonschluss. Es war ein extremer Schritt für mich: Vom grössten Erfolg zum «gar nichts». Ich blieb aber noch ein wenig im Olympia-Modus: Ich fieberte mit dem Schweizer Team am Fernsehen mit. Ich stand am Morgen auf und schaute mir das Ganze im Replay-Modus an, vier, fünf Stunden lang. Die Kunst war es, die Resultate nicht schon zuvor zu erfahren. Sehr nervös wurde ich, als die Snowboardkollegen im Big-Air-Contest starteten.
Nervöser als beim eigenen Run in Zhangjiakou?
Ja! Wobei es eine andere Nervosität ist. Wenn man selber startet, ist man zwar aufgeregt, aber eben auch fokussiert. Wenn du zuschaust und nichts ausrichten kannst, bist du: nur nervös.
Sie sagten im SRF-Interview, dass Sie sich vor dem zweiten Run im Klaren waren: Entweder werden Sie ein Champion – oder Sie landen einen «Big Fail». 30 Sekunden können über die Karriere entscheiden. Und doch waren Sie nicht nervös?
Irgendwie hatte ich es geschafft, mir einzureden, dass das alles gar nicht so wichtig ist. Dabei half mit, dass die Stimmung im Gelände genau dies ausdrückte. Es war so wenig los, dass man sich wie im Training fühlte. Das machte es für mich einfacher, mich zu konzentrieren.
Und dann kamen die vielen Glückwünsche. Welcher freute Sie am meisten?
Da gab es sehr viel Schönes. Zum Empfang in Ebnat-Kappel am Sonntag kamen so viele Leute, das hätte ich nicht erwartet. Und so viele Kinder! Ich sass eine Stunde lang da und gab Autogramme. Was Glückwünsche angeht, hat mich zum Beispiel jener meines ersten Primarschullehrers gefreut, den ich lange nicht gesehen hatte. Als er uns unterrichtete, war er so alt wie ich jetzt, sagte er mir.
Der «Jan Tonic», Ihre Sprung-Erfindung, scheint unterdessen offiziell so zu heissen. Obschon Sie gar nicht wollten, dass der Sprung einen Namen erhält.
Das stimmt so nicht. Ich finde es schön, dass er nun diesen Namen trägt. Nur wollte ich nicht einen eigenen Sprung halbherzig benennen, solange ich ihn nie in einem Wettkampf gestanden hatte. Das sieht nun anders aus. Wenn die Leute ihn nun nach mir benennen, dann passt das schon.
Imposant ist, wie Sie seit zehn Jahren der Spitze konstant immer näherkamen. Nun stehen Sie ganz oben. Wirkt sich das auch auf die Sponsoring-Situation aus?
Das Interesse an mir wird sicherlich grösser, ja. Noch immer aber fehlt ein Kopfsponsor – auf der Suche ergeben sich für mich aber nun neue Möglichkeiten.
Es muss ärgerlich sein: Da stehen Sie in einem anspruchsvollen Sport zuoberst – und kämpfen dennoch um Sponsoren. Nervt es Sie, dass nur alle vier Jahre breit über ihren Sport berichtet wird?
Natürlich hätte ich es gerne anders. Was Wichtigkeit und Grösse angeht, ist das Gefälle zwischen Weltcup und Olympia riesig in unserer Sportart. Da wird der Druck an Olympia schon sehr gross. Darum hat es auch eine Weile gedauert, bis ich realisiert habe, was ich geschafft habe. Man muss aber sehen: In der Schweiz ist es möglich, als Halfpipe-Snowboarder ein gutes Standing zu erreichen, siehe Iouri Podladtchikov. Dafür braucht es aber viel Konstanz und regelmässige Podestplätze.
Ist nun die nächste Sprung-Innovation nötig, damit Sie sich oben halten können?
Da ist nichts Neues angedacht. Es ist ein sehr langer Prozess, ich trug die Idee fünf Jahre lang mit mir herum, bis ich den Sprung zeigen konnte. Eher habe ich bei bewährten Tricks Potenzial. Das sah man im Bronze-Run. Alles vor dem letzten Sprung kann ich noch verbessern.
Verbessern heisst: noch höher, noch risikoreicher. Im April werden Sie Vater, 2023 schliessen Sie Ihr Wirtschaftsstudium ab. Einiges würde für Sie als 27-Jährigen für einen Rücktritt sprechen.
Das sehe ich nicht so. Ich habe schon im letzten Sommer begonnen, im Training mein Ding zu machen, es auf die kommende familiäre Situation anzupassen. Kondition trainierte ich zu Hause, das Schneetraining nahm ich später auf. Es kam viel Energie zurück auf diesem Weg. Deshalb bin ich sehr motiviert, so weiterzumachen. Was das Risiko anbelangt: Ich war immer ein relativ vorsichtiger Fahrer – ich überlege mir mehr als andere, bevor ich einen Sprung wage. Wohl auch darum war ich über all die Jahre kaum einmal verletzt und konnte stetig wachsen.
Mit Shaun White hat sich die wohl grösste Figur Ihres Sports in Peking verabschiedet – mit 35 Jahren. Er galt als Ausnahmekönner mit einer gewissen Arroganz. Wie nahmen Sie ihn wahr?
Über viele Jahre stand er über allem, war derart erfolgreich, dass er praktisch ausserhalb der Community sein Ding durchzog. Ja, das hatte etwas Arrogantes. Er hatte seine eigene Trainings-Halfpipe, kaufte sich so quasi gute Trainingsbedingungen, das fanden wir anderen schon uncool. Und doch schauten wir zu ihm hoch. Zuletzt war er aber nicht mehr so dominant – und damit auch nicht mehr in derselben Position. Diese Saison wurde er sehr zugänglich und menschlich, wollte noch einmal Teil sein des Ganzen. Er war zum Beispiel plötzlich bei gemeinsamen Nachtessen dabei.
Zurück zu Ihrer Bronzemedaille: Hat sie unterdessen ihren Platz erhalten?
Ich habe mich bewusst entschieden, die Medaille nicht aufzuhängen. Ich befürchte, dass ich sie dann in zwei, drei Wochen überhaupt nicht mehr wahrnehmen würde. Wir erhielten eine superschöne Box, da drin bleibt die Medaille. Wenn ich Lust habe, nehme ich sie hervor. Ich fände es auch etwas «posig», die Medaille aufzuhängen oder auszustellen und dem Besuch quasi aufs Auge zu drücken: «Schau, was ich erreicht habe».Wenn der Besuch danach fragt, zeige ich sie aber gern. (lacht)