Anhand von Urkunden aus dem achten Jahrhundert wurde deutlich, wie sich das Kloster St. Gallen, aber auch die Kirche generell zur grössten Grundbesitzerin entwickeln konnte. Angesichts der Bedrohung durch die Gewalt weltlicher Grossgrundbesitzer schenkten viele mittlere und kleine Landeigentümer dem Kloster St.Gallen ihre Höfe, Wiesen und Äcker, um so den Schutz der Kirche zu erhalten. Gleichzeitig erlangten sie dadurch die Wirkmacht des heiligen Gallus als Fürbitter im jenseitigen Leben.
Das wurde so wichtig, weil sich seit dem siebten Jahrhundert erste Höllenvorstellungen ausbildeten und die Kirche das Totengedenken institutionalisierte. Vorher war das Totengedenken Sache der Familie. Im Verlauf des achten Jahrhunderts lasen die Mönche in den Klöstern zunehmend Totenmessen für einzelne Verstorbene, die dadurch das Seelenheil zu erlangen hofften. Die Schenkungen waren ein Instrument, um für begangene Sünden Fürbitte im Jenseits zu erhalten.
Auch Frauen traten als Vertragspartner auf
Das intensive Quellenstudium von Professor Scholz zeigte auch, dass Frauen im Frankenreich als aktive Vertragspartner auftreten konnten. Die Vorstellung, Frauen seien vollständig unter der Gewalt des Mannes gestanden, bezeichnete Professor Scholz als Quatsch. Am Beispiel einer Schenkung aus dem heutigen Bezirk Gaster wurde deutlich, wie eine Frau ohne jede Zustimmung ihres Mannes grosse Ländereien an das Kloster St. Gallen schenkte, wobei sie einen erheblichen Teil von ihrem Vater geerbt hatte.
Die lebendigen und anschaulichen Ausführungen animierten die rund 50 Zuhörerinnen und Zuhörer zu einer angeregten Diskussion über Jenseitsvorstellungen und Kirchenmacht in der Gründerzeit des Klosters St.Gallen.