Irgendwann kommt sie, die schon hundertfach gestellte, aber entscheidende Frage. Simon Ammann presst die Lippen kurz zusammen, blickt in die Ferne, lächelt dann, rückt die Brille zurecht und holt zu einer nicht ganz klar umrissenen Antwort aus. Nein, «mit Sicherheit» könne er nicht sagen, ob es seine letzte Saison werde, sagt er. In der «finalen Phase» der Karriere aber stecke er definitiv.
Überraschend ist diese Aussage nicht: Dass ein 43-jähriger Sportler am Ende seiner Profikarriere steht, erklärt sich von selbst. Aber bei Ammann weiss man ja nie. Vielleicht wird das mit Olympia 2026 ja doch noch etwas? Schliesslich liegen Experten schon seit zehn Jahren mit Spekulationen über seinen Rücktritt daneben. Erstmals 2014 nach den Olympischen Spielen in Sotschi.
Ammann machte weiter – und kümmerte sich je länger, je weniger um die Öffentlichkeit und die Kommentarschreiber, die von Kopfschütteln bis zu Rücktrittsforderungen nichts an Unverfrorenheiten ausliessen.
«Gut, machen die Jungen Druck», sagt Ammann
Ammann steht am Check-in am Flughafen in Kloten, als er seine nicht klar umrissene Antwort gibt. Er ist unterwegs nach Lillehammer, wo er am kommenden Wochenende in seine 28. Weltcup-Saison startet, und dies nicht etwa dank seines Legendenstatus als doppelter Doppelolympiasieger, sondern weil er sich im Sommer teamintern regulär einen der vier Weltcupplätze erkämpft hat.
Dies in einer Mannschaft mit Gregor Deschwanden und Kilian Peier, denen man regelmässige Top-Ten-Ergebnisse zutraut. Und mit dem 18-jährigen Felix Trunz, der ebenso nach Lillehammer fliegt. Oder mit anderen Jungen wie Juri Kesseli oder Remo Imhof, die den bis zu 25 Jahre älteren Ammann langsam in Bedrängnis bringen.
Er begrüsse es, dass die Jugend drücke, sagt Ammann. «Wir müssen als Team zusammenarbeiten, auch wenn es interne Duelle gibt.» Und: «Ich bin gerne bereit, in die zweite Mannschaft zu rücken.» Dies aber nur, wenn er nicht mehr mithalten könne. Am Ende des vergangenen Winters hatte das Trainerteam um Rune Velta und Martin Künzle Jüngeren die Chance auf Weltcup-Starts gegeben, obschon sich Ammann selbst in den ersten Vier sah.
«Ich bin für klare Selektionskriterien, vergangene Saison war ich nicht immer ganz glücklich», sagt Ammann. Sein Plädoyer für sich selbst lautet: Junge könnten mit frühen Weltcupstarts auch «verheizt» werden. Und er könne mit seiner Routine unter Umständen punkten, wo es Junge noch nicht könnten.
Ammann diskutierte das Thema damals lange mit dem Trainerteam, wie er sagt. Auch Martin Künzle, Trainer des Weltcup-Teams, spricht die Sache an. Der Toggenburger und langjährige Begleiter Ammanns macht klar: Wenn Ammann und ein Talent gleich stark unterwegs sind, wird auch in dieser Saison tendenziell die Jugend bevorzugt. Man wolle im Zweifelsfall auf die Zukunft setzen und die Talente Weltcupluft schnuppern lassen.
«Mehr Ruhe zwischen Körper und Ski»
Der Start in den Winter in Lillehammer, Ruka und Wisla ist für Ammann also doppelt wichtig, um sich den Weltcupplatz längerfristig zu sichern - und sich für die WM in Trondheim von Ende Februar zu empfehlen. «Ich hoffe, dass mein Fundament besser ist als noch vor einem Jahr», sagt Ammann.
Mit den Sprüngen am Sommer-GP und dem vierten Platz an der Schweizer Meisterschaft im August in Einsiedeln habe er eine gute Ausgangslage geschaffen. Die Top 20, die er im vergangenen Winter nur einmal erreichte, peile er regelmässiger an. Und mehr noch: Er wolle sich «mit den Top Ten beschäftigen».
Es wäre ein Erfolg, nachdem er vergangene Saison im 52. Gesamtrang klassiert war und damit so schlecht wie nie mehr seit seiner Debütsaison 1998. Zuversicht gibt Ammann, dass er zwischen Körper und Ski wieder mehr Ruhe reingebracht habe, auch dank des Wechsels von Fischer zurück zu Slatnar. Mit dem slowenischen Unternehmen hatte er schon 2018 eine Zeit lang zusammengearbeitet.
Erst vor zwei Wochen habe er jenen Ski erhalten, den er sich vorstelle – das Modell sei «offener» und «weniger nervös». Es gehe nun darum, zu «Rekonditionieren», also jene «unbewusste Verkrampfung» und jene Muster rauszubringen, die man sich bei Sprüngen mit dem zuvor nicht perfekt abgestimmten Material aneigne.
Noch immer macht es Spass, Ammann zuzuhören, auch wenn man vielen Ausführungen als Nicht-Skispringer nur vage folgen kann. Jedenfalls bestätigt auch Künzle, dass Ammann wieder stabilere Sprünge zeige. Vor allem aber betont er den ungebrochenen Tüftlergeist und die Akribie von Ammann, von der auch die Jungen viel lernen könnten. Die Mischung sei gut. «Die Alten profitieren von den Jungen und umgekehrt.» Gerade im Kraftraum habe sich dank vieler konkurrenzfähiger Junger eine gute Dynamik ergeben.
Zumindest hier fährt Ammann aber seine eigene Schiene, kann nicht mithalten mit 18-Jährigen. Ohnehin legt er seinen Fokus immer bewusster. «Ich habe einiges auf die Seite gestellt.» Im Frühling sei alles etwas zu viel gewesen. So hat er unterdessen sein Amt als Verwaltungsrat der Toggenburg Bergbahnen abgegeben. Das HSG-Wirtschaftsstudium hingegen läuft weiter, im Januar werden einige Prüfungen anstehen. Im Sommer will Ammann den Bachelor abschliessen. Fängt dann eine neue Zeitrechnung an in seinem Leben?
Es gebe da Projekte, die aber nicht spruchreif seien. Vielleicht gehört eine Olympiasaison 2025/2026 ja auch dazu.