Höflich und eher distanziert seien sie, sagt man den Briten nach - kann sein. Doch wenn sie, wie die legendären King's Singers, fast das ganze Jahr hindurch weltweit unterwegs sind, als Botschafter des sehr gepflegten Gesangs von Byrd bis Beatles und zur Gegenwart, ganz old school, aber keineswegs von gestern, dann stimmt das einfach nicht. Sie kommen in beschwingten Schritten auf die Bühne, wie am Donnerstagabend in Vaduz, lächeln warmherzig-charmant und sagen «Grüezi mitenand». Zudem sind sie sich nicht zu fein als Musiker, ihr (oft spontan leicht umgestelltes und ergänztes) Programm in der jeweiligen Landessprache zu moderieren. So viel Nähe zum Publikum muss sein, bei aller Weltläufigkeit. Höflich heisst nicht arrogant.
Das sind die fabelhaften Sechs aus Cambridge wirklich nicht. Dabei könnten sie sich viel einbilden auf ihre Stimmkultur und den vollkommen reinen, ausbalancierten Ensembleklang. Was immer sie singen, ob Madrigal, ob geistliche Motette, ob eines ihrer unverwechselbaren Arrangements von Volksliedern und Popsongs: Alles sitzt. Jedes Detail ist sorgfältig platziert und zugleich Teil eines organischen Ganzen, nie wirkt es aufgesetzt, es ist hohe Kunst, aber nicht künstlich.
Das Orchester Le Phénix sorgt stilgerecht für Verschnaufpausen
Ein weiterer sympathischer Zug: Am Ende des Konzertes in Vaduz bedanken sich Patrick Dunachie, Edward Button, Julian Gregory, Christopher Bruerton, Nick Ashby und Jonathan Howard explizit, nicht nur mit einem angedeuteten Applaus, bei den Musikerinnen und Musikern des Barockorchesters Le Phénix, das sie stilsicher, dynamisch differenziert und mit Verve begleitet hat. Und ihnen zwischendurch Verschnaufpausen gegönnt hat - mit mehrsätzigen Theatermusiken von Henry Purcell, der auch im Programm der King's Singers eine Hauptrolle spielte.
Purcell, Byrd, Thomas Weelkes, diese grossen Namen des Elisabethanischen Zeitalters werden einen Abend lang gefeiert, als wären sie noch heute Popstars - und wirklich geht ein Song wie «Death hath deprived me» (Thomas Weelkes Trauerlied auf den verstorbenen Freund Thomas Morley) so unter die Haut, als lasse sich eine Billie Eilish oder Adele tief ins Herz blicken, eben in anderem Stil, mit anderen sängerischen Mitteln.
Ihr typischer Sound: wohldosiert, immer gepflegt, nie langweilig
Die geistlichen Gesänge wirken zeitlos schön; Gott müsste taub sein, gefiele ihm ein solches Lob nicht. Und gäbe es ihn nicht, man wäre Byrd und Purcell (und all den anderen Komponisten der letzten paar Jahrhunderte) dennoch dankbar für ihren Glauben. So wie sie sich bei der Programmansage abwechseln, tritt auch in den diversen Stücken immer wieder eine andere Stimme stärker in den Vordergrund, als Cantus firmus: ohne sich vordrängen zu müssen, denn die Kollegen kennen schliesslich das genau richtige Mass zum King's-Singers-Sound.
Das ist wohl ihr Erfolgsgeheimnis: Dass man am Ende jede der sechs Stimmen bestens kennt und schätzt, sie aber zusammen noch mehr als die Summe der Teile ergeben. Man sieht ihnen ausserdem gern zu beim Singen, was gar nicht selbstverständlich ist, so anspruchsvoll und hochkomplex sind Technik, Atem, Anpassung an die jeweiligen akustischen Bedingungen im Raum.
Mehr als fünfzig Jahre gibt es die King's Singers schon, natürlich nicht in dieser Besetzung, denn ihr Durchschnittsalter, das verraten die Sechs am Ende nebenbei, ist 32. Könnte sein - vielleicht ist aber auch das nur eine elegante Moderationsgeste. Um einzustimmen auf die Zugabe, ein augenzwinkerndes Arrangement des Beatles-Songs «When I'm sixty-four», mit Mundposaune und anderen Heiterkeiten. Man hofft in diesen kostbaren Minuten, sie sässen dannzumal nicht in Pantoffeln auf dem Sofa, die Enkelkinder auf dem Schoss. Sondern kämen wieder vorbei in der Region. Ein herzliches «Grüezi mitenand» wäre ihnen sicher.