Im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit bei der selbstgegründeten NPO «Human Riddim Care» (HRC) haben die beiden Seveler bereits diverse Brennpunkte weltweit besucht. So etwa Mali, Jamaika, Nordafrika, Südafrika und Griechenland. Auf Lesbos hat sich die Lage in den vergangenen Tagen drastisch verschärft. Wie das Hilfswerk «Ärzte ohne Grenzen» berichtet, haben die griechischen Behörden Ende Mai die Bereitstellung von Lebensmitteln für anerkannte Geflüchtete und Menschen, denen internationaler Schutz verweigert wird, eingestellt.
Projektkoordinatorin Nihal Osman präzisiert:
Das Ministerium setzt eine Reduzierung der Lebensmittel als Druckmittel ein, um die Menschen zu zwingen, die Einrichtung zu verlassen.
Dem stimmen auch Andrea Vetsch und Ralf Eggenberger zu. Da Flugtickets und Unterkunft für die Übergabe der Nahrungsmittel recht kostenintensiv sind, arbeiten die beiden mit freiwilligen Schutzsuchenden zusammen, die sie im Rahmen ihrer Hilfsarbeit weltweit kennengelernt haben.
Rouddy wartet seit sechs Jahren auf einen gültigen Asylbescheid
«Wir haben für die Situation in Mavrovouni (Griechenland) mindestens dreimal pro Woche einen Videoaustausch mit unserem Kollegen Rouddy», so Eggenberger. Rouddy, ein Flüchtling aus der Demokratischen Republik Kongo, der vor sechs Jahren ohne Englischkenntnisse nach Lesbos kam und seither für einen gültigen Asylbescheid kämpft. Bislang ohne Erfolg.
Doch statt aufzugeben oder wieder in sein Heimatland zurückzukehren, macht sich Rouddy für andere stark. Er kauft alle Hilfsgüter lokal ein und gibt sie aus, organisiert Kinderspielstunden, Zaubershows, musiziert mit Jung und Alt und leistet Betreuungs- und Seelsorgearbeit. Vetsch und Eggenberger bezeichnet er im Interview liebevoll als seine «Family».
«Es braucht Fluchtkorridore»
Über Pfingsten konnten so 29 komplette Familien mit Nahrungsmitteln versorgt werden. «Am nächsten Tag kamen neue Familien, doch unser Geld war aufgebraucht, daher gab es auch kein Essen mehr. Es bricht mir das Herz, wenn wir Schutzsuchende abweisen müssen», sagt Vetsch. Aktuell befinden sich rund 2100 Personen, darunter auch viele Kinder, im Lager in Mavrovouni. Da Eggenberger und Vetsch Vollzeit berufstätig sind, finanzieren sie ihre Hilfsprojekte bis jetzt primär aus dem eigenen Sack.
Doch die Nahrungsmittelknappheit und die hygienischen Zustände in den Unterkünften sind nicht die Wurzel des Problems. Laut Eggenberger geht es um die politische und soziale Situation in den betroffenen Regionen. Im Gegensatz zur Ukraine gibt es in Libyen, Afghanistan oder dem Kongo keine «Fluchtkorridore», die eine sichere Ausreise garantieren sollen. «Stattdessen gibt es Wüstendurchquerungen. Ein Pick-up-Truck lädt Dutzende Menschen hinten auf und brettert durch die Dünen. Wer herunterfällt, hat Pech. Wie bei der anschliessenden Meeresüberquerung. Auch Vergewaltigungen und Überfälle stehen auf der Tagesordnung. Fluchtkorridore sind daher unabdingbar.»
Situation untragbar – neue Ideen und Massnahmen müssen her
In den letzten Jahren konnte der 47-Jährige durch seine Hilfsarbeit die verschiedensten Menschen kennenlernen. Er weiss: «Sie alle begeben sich in diese Situation, weil bei ihnen vor der Haustür Milizen, Gewalt und Chaos das Land beherrschen. Egal, ob Lehrerinnen, Studierende oder Schreiner. Sie alle träumen von einem besseren Leben.»
Laut HRC ist daher die einzig sinnvolle Lösung, Ausbildungsplätze in den betroffenen Gebieten oder an den Ankuftsstellen zu schaffen. Aktuell existieren unter anderem Projektierungen für eine Bäckerei als Ausbildungsbetrieb in Griechenland und ein Farmingprojekt in Ghana. Wäschereien sowie Nähereien, um selbst Produkte mit Gewinn generieren zu können, sind in Planung. «Doch dafür reichen unsere Ersparnisse allein nicht aus, weshalb wir auf Spenden angewiesen sind.»
«Wir wollen durch Beistand und Bürgschaften Arbeitsplätze in der Region schaffen»
Im Gegensatz zur Schweiz dürfen Schutzsuchende etwa in Griechenland direkt nach Ankunft einer Beschäftigung nachgehen. Doch Griechenland hat nebst Spanien die höchste Arbeitslosenquote der EU (rund elf Prozent). Zum Vergleich: Die Schweiz kommt laut Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) im Frühjahr 2023 auf etwa zwei Prozent.
Um einer Verschärfung des Problems entgegenzuwirken, hat Eggenberger einen Wunsch an die Schweizer Politik: «EU-Angehörige können nach Vorlage eines Arbeitsvertrages eine Aufenthaltsberechtigung beantragen. Menschen aus dem Rest der Welt bleibt diese Möglichkeit verwehrt. Ich kenne einige Betriebe, die sofort Arbeitsverträge aufgrund des Fachkräftemangels ausstellen würden – aber sie dürfen nicht. Ich würde es begrüssen, wenn es im Rahmen eines Beistandes oder Bürgschaft für uns als NPO möglich wäre, diesen Menschen hier ein neues und sicheres Leben zu ermöglichen.»