«Dann halt Gams.» Das sagte sich der frisch diplomierte Lehrer Urs Helbling Mitte der Siebzigerjahre. Beworben hatte er sich zuerst auf eine Stelle in St. Gallen. Aus praktischen Gründen, denn der junge Helbling trainierte im erweiterten Kader der 1. Mannschaft des FC St. Gallen und wollte dort Fuss fassen.
Seinen Traum, Profifussballer zu werden, hatte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgegeben. Weil Fussballer damals noch nicht so gut verdienten wie heute, musste er erst einen «anständigen» Beruf lernen. So studierte er von 1972 bis 1976 am Lehrerseminar in Rorschach, nicht weit von seiner damaligen Heimat St. Margrethen.
Aus zwei Jahren wurden 46 Jahre
20-jährig war er, als er sein Diplom in den Händen hielt und die Zusage für eine freie Lehrerstelle in Gams erhielt. Eigentlich wollte er nur die zwei vereinbarten Jahre in Gams bleiben. Doch dann wurden fast 46 Jahre daraus. Er sagt:
Gefallen fand er auch an einer Gamserin, welche er 1982 heiratete, mit ihr drei Mädchen grosszog und ein Haus baute. Sieben Jahre lang spielte er beim USV Eschen/Mauren im benachbarten Liechtenstein Fussball. Aus gesundheitlichen Gründen hängte er seine Fussballschuhe an den Nagel und nahm fortan auf der Trainerbank Platz.
Helbling trainierte zuerst die Junioren und später die 1. Mannschaft des FC Gams. Auch seine Schülerinnen und Schüler coachte er in seiner Freizeit. Daraus resultierte vor 20 Jahren gar ein Sieg am Schweizer CS-Cup-Final in Bern.
Sein Lehrer inspirierte ihn
Bereits als Primarschüler wusste Urs Helbling, dass er Lehrer werden wollte. Er erzählt:
Von der ersten Stunde an im «Höfli» unterrichtet
Über Personen, die schon lange in einem Betrieb – oder wie in diesem Fall – in einer Schule sind, sagt man gerne, sie «gehören zum Inventar».
Urs Helbling übertrifft dies. Er ist schon länger hier, als das ganze Inventar. Ja, sogar länger als das Schulhaus Höfli selbst. Als Urs Helbling im Jahr 1976 Lehrer in Gams wurde, stand das «Höfli» noch nicht.
Schränke voller Ordner
Er unterrichtete die ersten zwei Jahre im Schulhaus Widem. Im Jahr 1978 zog er dann ins neu erstellte «Höfli». Von den Lehrern der ersten Stunde ist er «der letzte Mohikaner», wie er selbst sagt.
Im Laufe der Jahre sind in unzähligen Stunden Schränke voller Ordner mit eigenen Arbeitsblättern und Themen entstanden. Einen Teil davon hat er seinen Kolleginnen und Kollegen «vermacht», den Rest aber entsorgt.
Unterrichten bereitet Urs Helbling Spass
Eigentlich hat Urs Helbling das Pensionsalter schon im vergangenen Jahr erreicht. Er begründet:
Es hat mir einfach immer gut gefallen hier in Gams.An der Schule, den Arbeitskolleginnen und -kollegen, der Landschaft, ja sogar am «Kaff» – wie er Gams liebevoll nannte – an allem konnte er mit der Zeit Gefallen finden.
Mein damaliger Lehrer hat mich inspiriert. Er war streng, aber sportlich und humorvoll. So wollte ich auch sein.Für den Lehrer im Dorf Zigaretten gekauft Aus seiner Schulzeit weiss er einige Anekdoten zu erzählen. So musste er beispielsweise als Schüler während des Unterrichts für einen seiner Lehrer Zigaretten im Dorf kaufen. Handkehrum schreckte er aber auch selber nicht vor dem einen oder anderen Schülerstreich zurück. So pfuschte er zusammen mit seinen Mitschülern dem Lehrer ins Chemie-Experiment. Früher waren die Schulkinder freier Während früher die Schüler ab und zu Streiche spielten, sei das heute viel weniger der Fall. «Heutzutage wird früher eingeschritten, wenn sich ein Schulkind in irgendeiner Weise auffällig verhält. Klar, gewisse Dinge darf man nicht durchgehen lassen. Aber meiner Meinung nach werden die Eltern und die Schulsozialarbeiterin zu schnell involviert.» In seiner Schulzeit waren die Kinder freier und unbeschwerter gewesen. Er sagt:
Uns hat man mehr machen lassen, und meine Freizeit war nicht so verplant wie sie es heute teilweise ist.Engagement der Eltern gehe manchmal zu weit In der Schule werden die Schülerinnen und Schüler in vielerlei Hinsicht beurteilt. Dies ermöglicht zwar einen guten Überblick, bringt aber auch Nachteile mit sich. «Gewisse Kinder nehmen diese häufigen Beurteilungen als Druck wahr.» Dass die Eltern in Sachen Schule engagierter sind als früher, begrüsst Helbling, aber dieses Engagement gehe manchmal zu weit, wenn sie sich in fachliche Dinge einmischen. Urs Helbling sagt:
Ein bisschen mehr Vertrauen in uns Lehrpersonen würde nicht schaden.Bessere Ausbildung als noch vor 50 Jahren Trotz der vielen Neuerungen, welche in der Schule Einzug gehalten haben, blieb für Urs Helbling die Wandtafel eines der nützlichsten Lerninstrumente. Er erklärt:
Auf dem Bildschirm verschwinden Informationen sehr schnell. Auf der Wandtafel kann man das Gelernte ein paar Tage stehen lassen, es bleibt präsent, und auch die Schülerinnen und Schüler arbeiten gerne damit.Natürlich war früher nicht alles besser. Vor allem Körperstrafen hat der angehende Rentner noch in schlechter Erinnerung, und auch didaktisch und methodisch sind die heutigen Lehrkräfte viel besser ausgebildet als vor 50 Jahren.
Mir bereitet das Unterrichten aber immer noch so viel Spass, dass ich noch ein Jahr mit kleinerem Pensum anhängen wollte.Einen grossen Anteil an diesem Entscheid hatten seine Kolleginnen und Kollegen und vor allem seine letzte Schulklasse, für welche Urs Helbling viel Lob bereit hält:
Der Klassengeist ist ausserordentlich gut, die Schülerinnen und Schüler sind schnell zu begeistern, sehr wissbegierig und höflich, und die Unterstützung und das Wohlwollen der Eltern geradezu beispielhaft. Mit einer solchen Klasse aufhören zu dürfen, ist ein Privileg und das i-Tüpfelchen meines Berufslebens.