Vater soll transsexuellem Kind gedroht haben: Dem Gericht fehlten die Beweise | W&O

06.03.2022

Vater soll transsexuellem Kind gedroht haben: Dem Gericht fehlten die Beweise

Ein Vater soll sein Kind von einer Geschlechtsumwandlung abgehalten haben. Das Kreisgericht Mels spricht ihn frei.

Von Reinhold Meier
aktualisiert am 28.02.2023
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Das Kreisgericht in Mels spricht einen Vater vom Vorwurf der Nötigung vollumfänglich frei. Laut Anklage soll er seine Tochter wegen einer möglichen Geschlechts-Operation massiv bedroht haben (W&O vom 4. März). Doch an dem Vorwurf ist nichts dran. Das Kreisgericht betonte in einer aussergewöhnlich ausführlichen mündlichen Urteilsbegründung, dass alle Vorwürfe haltlos sind. Zum einen habe die zum fraglichen Zeitpunkt noch nicht ganz Volljährige keine konkreten Hinweise auf Drohungen wegen einer allenfalls geplanten Operation zur Geschlechtsumwandlung gegeben. «Sie hat sich nie dazu geäussert». Es habe keinen OP-Termin gegeben, keine Beratung, keine Untersuchung, keine Planung. Es gebe somit es auch keinen Beweis, dass eine Operation wegen Drohungen unterblieben sei.

Drohungen wären ein Antragsdelikt

Eine solche Unterlassung als konkrete Folge von Druckversuchen sei aber die Voraussetzung für den Tatbestand der Nötigung, hielt die Kammer fest. Sollte es hingegen «lediglich» Drohungen gegeben haben, gelten diese als so genanntes Antragsdelikt. Sie werden nur verfolgt, wenn Betroffene das wünschen. Die Tochter hatte jedoch schon bald ihr Desinteresse an einer Strafverfolgung erklärt. Das Gericht betonte ferner die gesellschaftliche Tragweite des Themas. Fragen der Geschlechteridentität seien hochaktuell und würden kontrovers diskutiert. Dabei spiele der kulturelle Hintergrund des Beschuldigten, der aus dem Kosovo stammt, nur eine nachgeordnete Rolle, hiess es.
Wenn wir auf dem Melser Rathausplatz eine Strassenumfrage machen, wie Eltern reagieren, wenn ein minderjähriges Kind sein Geschlecht ändern wolle, so dürfte es nicht verwundern, wenn die Meinungen dazu auch unter Schweizern gespalten sind.
Man müsse also kein Kosovare sein, um hier zu entgegengesetzten Einschätzungen zu kommen, so die überdeutliche Botschaft. «Mancher Melser oder Melserin würde wohl auch zu einer Ablehnung kommen, wie der jetzt freigesprochene Vater». Das sei Ausdruck der Meinungsfreiheit.

Wieder ein klagloses Zusammenleben

Der Vater hatte zuvor stets seine Unschuld betont. Er sei der Geschlechts-OP gegenüber zwar ablehnend eingestellt, habe sein Kind aber nie bedroht. Das Mädchen wohne seit zweieinhalb Jahren wieder friedlich in der Familie, trage anstandslos Jungenkleider, sei erwachsen und könne jederzeit gehen. Damals sei die Tochter noch manchmal sprunghaft gewesen und habe ihre Meinung fallweise ändert, altersüblich. Die Verteidigung hatte denn auch einen Freispruch gefordert, dazu eine Genugtuung und Entschädigung im Gesamtbetrag von über 16000 Franken. Sie machte vorab Verfahrensmängel geltend, namentlich im Blick auf das Prozedere der Einvernahmen sowie das fehlende Tempo der Untersuchung. Im Übrigen dürfe man in einer freiheitlichen Gesellschaft zu Geschlechts-OPs durchaus geteilter Meinung sein. Der Anwalt betonte:
Das gilt auch bei Schweizerinnen und Schweizer.

Unbescholtener wird entschädigt

Die Anklage wollte eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 30 Franken, bedingt ausgesprochen auf zwei Jahre. Sie wertete die Umstände als «Eskalation mit Ansage» und betonte ihren Fokus auf das Opfer. Namentlich ein Suizidversuch in zeitlicher Nähe zu den fraglichen Umständen belege die Intensität des Drucks. Das Mädchen sei mit aller Kraft zu schützen gewesen. Der Freispruch des Kreisgerichts hat finanzielle Folgen. So sind die Verfahrenskosten in Höhe von knapp 22000 Franken vom Staat zu tragen. Auch der Verteidiger ist vom Staat zu entschädigen mit rund 12000 Franken. Der Freigesprochene, der zu Unrecht 45 Tage in Untersuchungshaft sass, erhält eine Genugtuung von 9000 Franken, zudem einen Verdienstausfall von rund 7000 Franken.