Exakt am 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz präsentierten drei Rheintaler Museen ihre für dieses Jahr geplanten neuen Ausstellungen. Über Landesgrenzen hinweg wollen sie die Besucherinnen und Besucher an die dunklen Jahre von 1938 bis 1945 erinnern und das Thema gleichzeitig in den heutigen Kontext stellen.
«Wenn wir auf die aktuellen geopolitischen Spannungen, Konflikte und Fluchtbewegungen blicken, erkennen wir, wie relevant die Reflexion über die Vergangenheit für unsere Gegenwart ist», sagte Sonja Arnold, Präsidentin des Museumsvereins Prestegg Altstätten und Projektleiterin der Ausstellungen «Gemeinsam erinnern im Rheintal». Das Gedächtnis der Gesellschaft sei nicht nur eine Brücke zur Vergangenheit, sondern auch ein Fundament für die Zukunft, sagte Arnold am Montag an einer Medienkonferenz in Altstätten.
Erinnerungskultur soll Grenzen überwinden und verbinden
Zusammen mit dem Jüdischen Museum in Hohenems und dem Liechtensteinischen Landesmuseum Vaduz hat das Museum Altstätten drei Ausstellungen in Altstätten und Vaduz lanciert, die thematisch eng verknüpft sind und so nach Angaben der Organisatoren «eine verbindende Erinnerungskultur» schaffen wollen. Darin werden regionale Perspektiven aufgegriffen und in einen globalen Kontext gestellt. Jede Ausstellung widmet sich einem spezifischen Aspekt der Zeit zwischen 1938 und 1945 und beleuchtet die regionalen Ereignisse und persönlichen Schicksale aus unterschiedlichen Perspektiven.
Absicht dieser länderübergreifenden Zusammenarbeit von drei Museen ist es, regionale Geschichte wiederzubeleben und so eine Verbindung zwischen dem Gestern und dem Heute – gerade für die junge Generation – zu schaffen. Dieses Projekt besteht aus mehr als nur drei Ausstellungen. «Es ist eine Einladung, sich zu erinnern und gemeinsam nach vorne zu schauen», erklärte Christa Köppel von der Rheintaler Kulturstiftung. Links und rechts des Rheins werde eine länderverbindende Erinnerungskultur geschaffen, die Grenzen überwindet und die Gemeinschaft stärkt.
Alltag und Fluchtversuche zu Kriegszeiten
Im Museum Prestegg in Altstätten wird in Zusammenarbeit mit mehreren Rheintaler Ortsmuseen und mit finanzieller Unterstützung durch den Lotteriefonds St. Gallen und die Rheintaler Kulturstiftung ab Ende August bis Januar 2027 eine Ausstellung zum Thema «Alltag in Kriegszeiten» organisiert.
Tagebücher zum Beispiel, aufgeschrieben von Zeitzeugen wie dem Bernecker Lehrer Jakob Boesch, werden zu wichtigen Elementen der Ausstellung. So erhalten die Besucher ungewohnte Einblicke in das damalige Leben und die Erlebnisse der Rheintalerinnen und Rheintaler. Fotografien und historische Dokumente, aber auch ganz einfache Gegenstände wie ein von Flüchtlingen im Altstätter Restaurant «Krone» geschnitzter Spazierstock werden zu lebendigen Zeugen jener dunklen Jahre.
Eine zweite Ausstellung im Museum Altstätten widmet sich dem Thema «Rettende Schweiz? Fluchtversuche im Rheintal». In Kooperation mit dem Jüdischen Museum in Hohenems werden hier Geschichten jener Menschen erzählt, die in der «rettenden Schweiz» Zuflucht suchten – und oft wieder abgewiesen wurden. Auch die Flüchtlingspolitik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg wird zum Thema. Im August 1938 und nochmals im August 1942 schloss die Schweiz ihre Grenzen und wollte – wenn überhaupt – nur Durchreisende hereinlassen. Insbesondere Juden sollten nicht aufgenommen werden, egal ob sie sich aus dem Deutschen Reich, dem besetzten Frankreich oder schliesslich aus Italien vor der Vernichtung durch die Nazis und ihren Kollaborateuren retten wollten.
Jüdisches Museum hat ohnehin viel Bezug zur Schweiz
Mit dem Fokus Rheintal will die Ausstellung die Geschichten dieser Menschen und die ihrer zurückgebliebenen Familien im Kontext der schweizerischen Flüchtlingspolitik erzählen. Auch Reaktionen der Bevölkerung, der Behörden, Grenzpolizisten, Hilfswerke und Fluchthelfer und -helferinnen gehören dazu.
Hanno Loewy erinnert in seinem Jüdischen Museums in Hohenems seit Jahrzehnten an diese Zeit. Dass er jetzt als Kurator mit seinem Team über den Rhein kommt und in Altstätten in einer Sonderausstellung an diese Katastrophe der europäischen Geschichte erinnert, freut ihn ganz besonders. «Unser Museum hatte immer einen sehr engen Bezug zur Schweiz», sagt Loewy. Die jüdischen Kultusgemeinden in St. Gallen und Hohenems pflegten über Generationen einen engen Kontakt und haben über Landesgrenzen hinweg bis heute viele Spuren hinterlassen.
Nazis gab es im Fürstentum einige
Auch das kleine Fürstentum am Rhein ist von den Wirren des Zweiten Weltkrieges nicht verschont geblieben. Der arme Agrarstaat mit seinen 11’000 Einwohnerinnen und Einwohnern lag zu Beginn des Krieges eingeklemmt zwischen dem kriegsführenden Reich und der bewaffnet neutralen Schweiz. An die Schweiz hat man sich angelehnt, vom NS-Reich drohte der Anschluss. «Liechtenstein war in den sechs Kriegsjahren in seiner Existenz bedroht», sagt der Liechtensteiner Historiker Peter Geiger.
Im Landesmuseum Vaduz werden ab dem 8. Mai ganz unterschiedliche Aspekte dieser dunklen Jahre aufgezeigt. Hitler-Anhänger, davon ein paar ganz prominente wie der Industrielle Martin Hilti, gab es auch im Ländle zuhauf. Wie reagierten Fürst und Regierung auf diese Situation? Hätte die Schweiz Liechtenstein bei einem Angriff durch Hitlers Truppen verteidigt? Warum führte das kleine Land 1940 erstmals einen Staatsfeiertag ein? Und wie hat Liechtenstein nach 1945 die Kriegszeit politisch und historisch aufgearbeitet? Fragen, die an der Sonderausstellung in Vaduz beantwortet werden.
Zeit zum Innehalten
2025 markiert 80 Jahre seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Für Sonja Arnold vom Museum Altstätten ist das Grund genug, «um innezuhalten und zurückzublicken». Dieses trinationale Ausstellungsprojekt entstand in den Köpfen von kreativen Kuratoren, die überzeugt sind, dass es essenziell ist, unser Gedächtnis als Gesellschaft und als Region zu bewahren. Jetzt muss nur noch die Bevölkerung in Scharen in die Museen nach Altstätten, Vaduz und Hohenems gehen.
Hinweis: Daten, Öffnungszeiten und Hintergrundinformationen zu allen drei Museumsausstellungen auf der Website www.gemeinsam-erinnern.ch