Jassen, Volkssport Nummer eins. Vielleicht des Schweizers liebste Nebenbeschäftigung. Mit Sicherheit ein Spiel, das verbindet. Und manchmal entzweit. Eines, das Konzentration wie Sachverstand erfordert, selbst nach dem fünften «Chübel Bier». Oder dem zweiten «Kafi Lutz», der zum Wachhalten anregen möge. Andere bleiben lieber beim Wasser, Stichwort: klarer Kopf.
Anfang November hat das Jassen im Rheintal Hochkonjunktur, seit 1987 ist das so. Dann treffen sich die Talbewohner zum Schieber, mit ihnen die Zugezogenen und längst Angekommenen. Mit dem Ziel, in 21 mitveranstaltenden Beizen Rüthis, Rheinecks, Montlingens oder Altstättens die Qualifikation für das Finalturnier im «Widnouer» Metropol zu schaffen.
Etwas «kärtlen» können muss man schon in der Krone, im Hecht, Rosengarten, Freihof, Sternen oder Hirschen. Und nicht bloss «Unenufe, Obenabe oder Schelle» rufen, heisst es. Das alles dient auch einem guten Zweck: Der Erlös kommt der Nachwuchsabteilung des SC Rheintal zugute – im letzten Jahr gab es 10’000 Franken.
Augenschein in St.Margrethen – nicht nur die Köpfe qualmen
Augenschein in St.Margrethen, es ist Dienstagabend. Vor Ort haben sich 24 Teilnehmende eingeschrieben, mindestens ein Drittel schafft es also diesen Sonntag nach «Widnou». Im Hinterstübli der etwas in die Jahre gekommenen, gemütlichen Beiz wird geraucht. Vorne an den sechs Jassteppichen qualmen die Köpfe. Ein Mittfünfziger prahlt, er habe keine der 37 Rheintaler Jassmeisterschaften verpasst. Sei stets in den Final gekommen. Ehrensache. Und eine Familienangelegenheit: Weil das Ticket für «Widnou» übertragbar ist, helfen sich Blutsverwandte oder Freunde oftmals gegenseitig.
Es ist heiss im Rössli, und manchmal wird es auch laut, wenn am Ende eines Durchgangs «nachgejasst» wird. Bedeutet: Fehler werden analysiert. Oder das heftige Kopfschütteln erklärt, dass der Partner zwei Minuten zuvor die falsche Farbe angezogen oder die fünfte Karte fahrlässig gespielt hat. «Du Depp! Wieso schmiersch do es Zehni, wenn eh weisch, dass de Stich nöd bi mir bliebt? So chani grad jetzt scho hei.»
Es gibt ja Leute, die bewusst nicht mitmachen an den Rheintaler Jassmeisterschaften, bei denen der Partner zugelost wird. Im beschaulichen Rheineck zum Beispiel sagen ein paar vermeintliche Dorfgrössen, die sich samstags jeweils treffen (das ist ihnen heilig) und stets dem Wein zugewandt sind: «Diä chönt’s döt eh nöd, also jassed mir lieber für üs elei im Chrüz. Eichle isch Trumpf.»
Die Frauen sind in Unterzahl
«Eichle» zählt in Rheineck siebenfach, an dieser Jassmeisterschaft im Rheintal ist alles einfach. Im wahrsten Sinne. Und fair. Auch wenn es durchaus hitzig zu- und hergeht im Rössli. «De scharf Egge» vom Samschtigjass hat doch überlebt, irgendwie.
Die Frauen sind in St.Margrethen klar in Unterzahl, so viel zur geschlechterbezogenen Quotenregelung. Ein betagter Herr geht am Stock, ein anderer trägt ein Hörgerät. Sowieso dominieren die älteren Semester, meist Grauhaarige und Brillenträger. Und kurzsichtig ist ein jeder im Fehlerzugeben. «Wieso hesch döt s’Ass verworfe?» Der Mann im violetten Hemd aus den 1980er-Jahren kontert: «Damit du öppis z’froge hesch. Langet das als Antwort?»
Eine Sache ist das Schreiben. Niemand will, einer muss, und jede Zahl und Rechnerei hat auf dem Zettel zu stimmen. Manchmal soll es der Jüngste machen, aber der ist auch über 50 Jahre alt. «En Chübel, bitte», ruft ein Teilnehmer. Andere sind konzentriert und schätzen ab, was es jetzt noch braucht, um mit dem letzten Jass die 3000er-Grenze zu erjassen. Sie reicht in jedem Fall fürs Weiterkommen nach «Widnou».
In der Vorwoche war einer, nennen wir ihn Jakob, an fünf Orten und damit quasi im ganzen Rheintal. Nie hat es ihm mit seinen kräftigen Büezerfingern fürs Finalticket gereicht. Dranbleiben. Derweil erzählt Max vom ersten Joint im «Ozon». Und von DJ Johnny Lopez.
Im sechsten Versuch der Tagessieg und das Finalticket
Glorreicher Tagessieger im Rössli wird ebendieser Jakob, die letzte Passe (so heissen 12 Runden mit einem Partner) hat ihn nach vorne katapultiert. Er glaubt es kaum. Es gibt zarten Applaus und die Qual der Wahl bei den gesponserten Preisen, in welchen viel Liebe steckt. Jakob nimmt den Bergkäse. Fritz, die 80 Jahre wohl knapp überschritten, mit Schnauz und Hut und Händen, die schon 10’000 Stunden lang Jasskarten gehalten haben, wird starker Zweiter.
Am Sonntag treffen sich nur die Besten im «Widnouer» Metropol. Ungefähr 200. Jassen ist mit Sicherheit ein Kartenspiel, das verbindet. Auch manchmal entzweit. Und in jedem Fall: eine Insel, die es zu bewahren gilt.