Von Schützen, Musikanten und Tschuttern: Vereine als Spiegel der Zeit und der Gesellschaft | W&O

19.12.2021

Von Schützen, Musikanten und Tschuttern: Vereine als Spiegel der Zeit und der Gesellschaft

Die «Werdenberger Geschichte|n 3» spüren dem Vereinswesen nach – aber nicht nur.

Von Hans Jakob Reich
aktualisiert am 28.02.2023
Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 9 Franken im Monat oder 96 Franken im Jahr.

Der Schwerpunktteil des von der Gesellschaft für Werdenberger Geschichte und Landeskunde WGL herausgegebenen dritten Bandes der Buchreihe «Werdenberger Geschichte|n» befasst sich mit dem Vereinswesen. Dabei konzentriert sich das Werk exemplarisch auf die Bereiche «Schützen», «Theaterspieler», «Musikanten» und «Tschutter».

Im einführenden Beitrag unter demTitel «Von den elitären Sozietäten in die Ära der Vereine» blicken die beiden Redaktoren Hansjakob Gabathuler und Hans Jakob Reich zurück in die Geschichte des Vereinswesens in der Schweiz. Sie halten fest, dass sich bereits im 17./18. Jahrhundert vielerorts Gesellschaften oder Sozietäten gebildet haben, deren Mitglieder hauptsächlich der gesellschaftlichen Elite angehörten und sich mit den Ideen der Aufklärung befassten.

Bildung vermitteln

Sie versuchten im Hinblick auf Reformen in Staat und Kirche neue Erkenntnisse aus den Naturwissenschaften, aus der Medizin und der Theologie einem breiteren Publikum zu vermitteln. Gemeinnützige und ökonomisch-wirtschaftliche Gesellschaften waren gleichzeitig bestrebt, nicht nur bei den Landwirten und den Gewerbebetreibenden Bildung zu vermitteln, sondern auch praktische Neuerungen im Schulwesen, in der Sozialfürsorge und in der Hauswirtschaft zu fördern. Damit ist die Zahl der sogenannten «Lese- und Büchergesellschaften» gewachsen, wie sie auch der Grabser Arzt Marx Vetsch bereits um 1790 im Werdenberg ins Leben gerufen hatte.

«Ära der Vereine» in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden zunehmend Vereine mit einem breiten Spektrum. Es reichte von Studentenverbindungen, Armen- und Missionsvereinen bis zu Turn-, Schützen-, Gesangs- und Musikvereinen. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts schliesslich wurde zur «Ära der Vereine»: Sie waren die neue Form der Geselligkeit einer sich weit öffnenden und kontinuierlich entwickelnden bürgerlichen Gesellschaft.

Diese Entwicklung mündete am Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert in einen eigentlichen Vereinsboom, der für die Schweiz nach wie vor prägend ist: Das Land zählt heute 80000 bis 100000 Vereine. Und sie sind bis heute Spiegel der Zeit und der Gesellschaft.

Von Schützen, Theaterspielern und Musikanten

Nach 1848 erfuhr das Schiesswesen einen tiefgreifenden Wandel hin zur Militarisierung und Demokratisierung. Hansjakob Gabathuler legt das in seinem Beitrag «Die Entwicklung des Schiess- und Wehrwesens in der Region Werdenberg» ausführlich dar. Exemplarisch geht er anschliessend auf die Schützenvereine der Gemeinde Wartau ein, von denen es einst elf verschiedene gab.

Kaum noch im Bewusstsein ist, dass in Wartau ab den 1860er-Jahren auf hohen Niveau Theater gespielt wurde. Eine erste Gesellschaft wurde 1879 von der «Theatergesellschaft Azmoos» abgelöst, die 1895 zum «Dramatischen Verein Azmoos» wurde. Unter anderem dank einem erhalten gebliebenen Manuskript von 1945 zum 50-Jahr-Jubiläum des Vereins war es Hansjakob Gabathuler möglich, ein umfassendes Porträt dieses aussergewöhnlichen Vereins zu zeichnen.

Für den Verein prägend war während vieler Jahre Minna Senges-Faust. Sie war nicht nur professionelle Schauspielerin und Regisseurin auf den Bühnen von Aarau, Chur, Thalwil und Rheinfelden, sondern war auch befreundet mit den Koryphäen der Zürcher Pfauenbühne, unter andern mit Berthold Brecht. Sie vor allem war es, die bis um die Mitte des 20. Jahrhunderts über Jahrzehnte die Azmooser Bühne betreute und die sogenannte «Tonhalle zum Rössli» beinahe zum Bersten brachte. Von Wilhelm Tell-Aufführungen, Singspielen wie «der fidele Bauer», Hugo von Hofmannsthals «Jedermann» bis zur legendären «Gilberte der Cougenay» und vielen weiteren Aufführungen reichte das äusserst breite und anspruchsvolle Repertoire.

Von der Gründung bis zur Fusion

Vor dem Hintergrund der Geschichte der Blasmusikvereine in der Schweiz geht der Historiker Josef Gähwiler unter dem Titel «Mit der Dorfgemeinschaft eng verbunden» ausführlich auf die Blechharmonie Räfis-Burgerau ein. Sie wurde 1888 gegründet und bestand 115 Jahre lang bis 2003, bis zur Fusion mit der Harmonie Buchs zum Musikverein Buchs-Räfis.

Das Phänomen Fussball und der 100jährige FC Buchs

«Am Anfang war der Ball». Unter diesem Titel steht der originelle Essay von Andreas Reich, gewidmet dem Tschutten, der heute wohl populärsten Sportart, die die Menschen seit jeher fasziniert. Rund 2000 Jahre alte chinesische Quellen schildern, wie der Kaiser mit einem Aufständischen umgesprungen sein soll:

Seinen Magen liess er zu einem Ball ausstopfen und befahl seinen Leuten, damit Fussball zu spielen. Diejenigen, die am besten kickten, wurden belohnt.»

Der FC Buchs ist der älteste Fussballklub in der Region. Der Anfrage seiner Exponenten, die Geschichte des dieses Jahr 100-jährigen Vereins aufzuarbeiten und eine Chronik zu verfassen, kam die Redaktion gern nach. Entstanden ist ein umfassendes Werk, das unter dem Titel «Rundes Leder, schrille Pfiffe – 100 Jahre FC Buchs» mit gegen 80 Seiten und über 150 Abbildungen den grössten Brocken des 280 Seiten starken Bandes bildet. Als Autoren zeichnen Hansjakob Gabathuler, Hans Jakob Reich und Thomas Schwizer.

Perlen im zweiten Buchteil

Die sogenannten Miszellen werden eröffnet mit einer besonderen Perle: dem Beitrag «Von Grenzen und Marchen in der Wartauer Alp Elabria» von Iris Sulser. Die Autorin hat in ihrer Maturaarbeit den Verlauf der Grenzen dieser Alp vor dem Chamm anhand jahrhundertealter Urkunden und eines Plans aus den 1880er-Jahren ermittelt und die Marchsteine fotografisch dokumentiert.

Unter dem Titel «Quellen aus 7 Jahrhunderten zum Sprudeln gebracht» würdigt Hans Jakob Reich den Abschluss des Forschungsprojekts «Rechtsquellen der Region Werdenberg». Die Historikerin Sibylle Malamud hat in sechsjähriger Arbeit 259 Urkunden aus den Jahren 1050 bis 1798 erschlossen, die im zweibändigen, von der Rechtsquellenstiftung des Schweizerischen Juristenvereins herausgegebenen Werk und auf der Website «SSRQ-online» nun zugänglich sind.

An «Werdenberger Geschichte|n» haben folgende Personen mitgearbeitet. Redaktion: Hans Jakob Reich, Salez (Gesamtleitung); Hansjakob Gabathuler, Buchs; Autorin/Autoren: Mario F. Broggi, Hansjakob Gabathuler, Josef Gähwiler, Christian Göldi, Werner Hagmann, Andreas Reich, Hans Jakob Reich, Hansruedi Rohrer, Thomas Schwizer, Iris Sulser, Gerhard Wanner. (pd)

Der Verfasser des Beitrags «Die Konservativen in Vorarlberg auf dem Weg zur Macht 1861–1914» ist der Historiker Gerhard Wanner. Er gibt aufschlussreiche und ungeschminkte Einblicke in die Jahrzehnte des erbitterten Kulturkampfs zwischen Liberalismus und politischem Katholizismus im habsburgischen Kronland zwischen Bodensee und Arlberg. Von den 1970er- bis Anfang 1990er-Jahre gab es am Alpenrhein Auseinandersetzungen um das Projekt Rheinkraftwerke Schweiz-Liechtenstein. Der Ökologe Mario F. Broggi und der Wasserbaufachmann Christian Göldi – beide damals an vorderster Front in die Thematik involviert – zeichnen in einer Chronologie minutiös und fachkundig nach, was ablief und weshalb die Eidgenossenschaft und das Land Liechtenstein dem Vorhaben 1993/94 eine klare Absage erteilten: ein höchst beachtenswerter Beitrag in einer Zeit, in der die Rheinkraftwerke aktuell in manchen Köpfen gerade wieder herumzuspuken scheinen.

Aktuell ist auch der letzte Beitrag: Der Verfasser hat in den beiden Corona-Jahren quasi in Quarantäne von seinem Estrich aus das intime Geschehen in einem Storchenhorst auf dem Nachbarhaus beobachtet. Entstanden sind faszinierende Bilder und eine spannende Geschichte mit dem Titel «Storch Ustach und seine Störchinnen».

Buchhinweis
«Werdenberger Geschichte|n 3/2021». Schwerpunktthema: «Vereine». Hg. Gesellschaft für Werdenberger Geschichte und Landeskunde WGL. Produktion Galledia Rheintal Buchs/Altstätten. Verlag Edition WGL GmbH, Buchs 2021. ISBN 978-3-9524969-2-3.280 Seiten, 485 Abbildungen, Preis: 50 Franken. Erhältlich im Buchhandel oder über www.edition-wgl.ch