Ein Informatiker versank manchmal in seiner virtuellen Welt und vergass dabei das reale Umfeld. Nachdem er offenbar mehrfach Verbotsschilder übersehen hatte, befand das Strassenverkehrsamt, er sei als Fahrzeuglenker charakterlich nicht geeignet, und entzog ihm den Führerausweis für unbestimmte Zeit. Das gefiel dem Automobilisten gar nicht, zumal er auf dem Lande, abseits von jeder Bushaltestelle wohnte. So benutzte er heimlich doch den eigenen Wagen, wenn seine Partnerin gerade keine Zeit hatte, ihn zu chauffieren. Eine missgünstige Person verpfiff ihn aber bei der Polizei. Seither wurde er von den Hütern des Gesetzes scharf beobachtet.
Prompt erwischte man ihn zweimal am Steuer seines Autos. Bei der zweiten Begegnung folgte ihm ein aufmerksamer Polizist auf dem Heimweg und stellte ihn in der Garage. Dann informierte er den auf Pikett stehenden Staatsanwalt, der mündlich die Ermächtigung erteilte, das Fahrzeug zu beschlagnahmen. Nun forderte er den Besitzer auf, die Schlüssel abzugeben, und begleitete ihn in das Appartement, um den Reserveschlüssel zu holen. Dort bat der Wohnungsinhaber schüchtern darum, das Badezimmer aufsuchen zu dürfen, was ihm nur mit der Auflage erlaubt wurde, die Tür einen Spalt weit offen zu lassen. Hernach wurde der Schwarzfahrer frisch geduscht und streng bewacht zur Befragung auf den Polizeiposten gebracht.
Polizist steht unvermutet vor Gericht
Von dieser Stunde an drängte der Fahrzeughalter immer wieder darauf, ihm bekannt zu geben, wer für die Konfiskation des Wagens verantwortlich sei. Schliesslich hatte der Polizeibeamte genug von dem Gestürm. Er beschaffte sich einen Entwurf der Beschlagnahmeverfügung und legte das gefaltete Blatt Papier in den Briefkasten. Der Betroffene beschwerte sich in der Folge über die Zwangsmassnahme und beklagte nebenbei auch das Verhalten des Polizisten: Dieser sei unbefugt in die Wohnung eingedrungen und habe ein Dienstgeheimnis verraten. Die Anklagekammer eröffnete eilfertig ein Strafverfahren, worauf die Staatsanwaltschaft dem Polizeimann Hausfriedensbruch und Verletzung des Amtsgeheimnisses vorwarf. Dafür schien ihr eine bedingte Geldstrafe von sechzig Tagessätzen angebracht.
Jetzt muss der erfahrene Wachmeister vor dem Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland antreten. Auf die Eröffnungsfrage des Richters, wie es sich denn anfühle, unvermutet auf der anderen Seite zu stehen, zuckt er verlegen mit den Schultern. Danach beschreibt er nüchtern, wie er dem Kläger bis in den Flur der Wohnung gefolgt sei. Er lasse seine Kunden in derart heiklen Situationen nie aus den Augen. Selbstverständlich habe er aber vorher gefragt, ob er hereinkommen dürfe. Es treffe auch zu, dass er den Beschlagnahmebefehl ohne Umschlag in den Briefkasten schob, obwohl auf dem Schild zwei Namen standen. Der Kläger habe aber rechtzeitig von der Zustellung erfahren und hätte nicht zuwarten sollen, bis seine Mitbewohnerin die Post an sich nahm und einen Blick darauf warf.
Amtsgeheimnis nicht verletzt
Der Verteidiger beantragt einen Freispruch ohne Wenn und Aber. Am Schluss der polizeilichen Einvernahme habe der zur Ergänzung oder Berichtigung eingeladene Kläger versichert, seine Aussage sei vollständig. Erst drei Wochen später sei ihm im Büro seines Anwalts plötzlich eingefallen, der Polizist könnte sich «eigenmächtig und rechtswidrig» verhalten haben. Es spreche jedoch alles dafür, dass er ihm den Zutritt zur Wohnung gestattete. Damit falle der Vorwurf des Hausfriedensbruchs dahin. Die Enthüllung eines Amtsgeheimnisses sei nur bei Vorsatz strafbar. Ein solche Absicht wurde etwa angenommen, als ein Betreibungsbeamter die Aufforderung, eine Betreibungsurkunde abzuholen, an die Wohnungstür des notorisch abwesenden Schuldners klebte. Hier habe der Polizist den Kläger nicht schlecht machen, sondern ihm im Gegenteil einen Gefallen erweisen wollen. Zudem habe sich die Lebensgefährtin bestimmt schon früher erkundigt, warum der Wagen nicht mehr in der Garage stehe. Eine bereits bekannte Tatsache sei aber kein Geheimnis mehr.
Der Richter hat ein gewisses Verständnis für die Anklage. Nach einem Polizeieinsatz dürfe nicht der Eindruck entstehen, es werde etwas «unter den Tisch gekehrt». Bei genauerer Prüfung zeige sich indessen, dass der Polizeibeamte vielleicht ein wenig übereifrig, aber durchaus korrekt handelte. Inzwischen hat der Kläger immerhin sein Auto zurückerhalten, weil eine Einziehung nur bei einer geradezu skrupellosen Fahrweise zulässig gewesen wäre. Am wiedererlangten Besitz wird er allerdings keine rechte Freude haben. Das Fahrzeug dient ihm in den nächsten Jahren bloss noch als Stehzeug.