Dutzende bunte Glasperlen sind auf eine Schnur aufgefädelt: Weisse, farbige mit Punkten, in Form einer Biene, eines Cupcakes oder ein «Glatzköpfli» mit lustig grinsendem Gesicht. Alles andere als lustig ist der Hintergrund dieser sogenannten Mutperlen.
Krebskranke Kinder und Jugendliche erhalten sie nämlich im Kinderspital, um ihren Behandlungsweg zu dokumentieren.
So steht die weisse Perle beispielsweise für einen Verbandswechsel, der Cupcake fürs Nüchternbleiben, das «Glatzköpfli» für den Haarverlust infolge einer Chemotherapie.
52'630 Mutperlen in einem Jahr von rund 70 Künstlerinnen und Künstlern
Mit dem Projekt Mutperlen hat die Initiantin Iris Hörler eine Idee aufgegriffen, die es unter dem Namen «Beads of Courage» in Amerika und Kanada gibt. Seit 2013 haben nach und nach fast alle Schweizer Kinderspitäler mit Onkologieabteilung das Programm eingeführt.
Bei der Erstaufnahme an einer onkologischen Station erhalten junge Krebspatientinnen und -patienten eine Schnur mit ihrem Vornamen aus Buchstabenperlen und einer Ankerperle als Hoffnungssymbol. In den folgenden Monaten kommen, je nach Therapie und Untersuchungen, unterschiedlichste Mutperlen dazu.
Die Patientinnen und Patienten freuen sich auf die nächsten Perlen. Damit bekommt der jeweilige Eingriff einen anderen, nicht mehr ganz so bedrohlichen Stellenwert. Ängste können durch die Vorfreude auf die «Belohnung» in den Hintergrund treten. Der Perlenbedarf ist gross: 2021 hat der Verein 52'630 Mutperlen an Spitäler geliefert. Der Verein hat rund 185 Mitglieder. Präsidentin ist Karin Spohn. Einige «Mutperlerinnen» treffen sich monatlich im Atelier in Au zum gemeinsamen Perlenmachen. (pd/ch)
Jede Mutperle, die durch ihre Hände entsteht, gelangt nachher zu einem betroffenen Kind oder Jugendlichen. Das mache sie schon nachdenklich, sagt die Grabserin.
Die Künstlerin trägt eine bläulich gefärbte Brille, um die Augen vor ultravioletten und infraroten Strahlen der Flamme zu schützen. Ihr kleines Atelier im Obergeschoss des Wohnhauses ist mit Gasbrenner, Absauganlage und Ofen gut eingerichtet für ihr Hobby.
In einem Regal lagern weit über 100 Glasstangen, sortiert nach Farben. An den Wänden und auf dem Tisch finden sich etliche Werkzeuge.
Immer wieder hält sie das Werkstück kurz in die Flamme, lässt es dann wieder ein wenig abkühlen. «Man muss lernen, mit der Hitze richtig umzugehen», weiss sie. Ist das Glas zu weich, verformt sich die Perle. Wird das Glas zu kalt, ist es zu hart, um es zu verändern.
Das war vor ungefähr zwölf Jahren. Seither ist Karin Gross-Neff der Perlenkunst treu geblieben. Noch immer ist die Medizinische Praxisassistentin, die im Labor des Spitals Grabs arbeitet, fasziniert von den schier unendlichen Möglichkeiten des Werkstoffs Glas. «Für mich ist es ein extrem schöner Ausgleich zum Alltag. Andere machen Yoga – ich gehe in mein Atelier und mache Perlen», sagt sie und lacht.
Neben Mutperlen stellt Karin Gross-Neff auch Schmuck, Schlüsselanhänger und ähnliches aus Glas her. Diese kleinen Kunstwerke verkauft sie gelegentlich an Märkten.
www.mutperlen.ch
Seit zehn Jahren mit viel Herzblut dabei
Rund 70 Künstlerinnen und -künstler stellen die Perlen in ehrenamtlicher Arbeit für den Verein Mutperlen her. Eine davon ist Karin Gross-Neff aus Grabs. Schon seit der Initiierung des Projekts Mutperlen vor zehn Jahren ist sie mit viel Herzblut dabei.Ich habe zwei gesunde Kinder und weiss, dass das keine Selbstverständlichkeit ist.«Für mich sind die Mutperlen eine gute Möglichkeit, ein Projekt zu unterstützen, bei dem ich voll dahinterstehen kann und das mir auch noch Spass macht», beschreibt Karin Gross-Neff ihre Motivation.
Wenn ich am Brenner sitze, bin ich in Gedanken oft bei diesen Kindern und ihren Familien, die eine schwere Zeit durchmachen.
Ein Gasbrenner bringt das Glas zum Glühen
Rund 1200 Grad heiss ist die Flamme, in die Karin Gross-Neff für einige Sekunden einen grünen Glasstab hält, bis er glüht. In der anderen Hand hält sie einen dünnen Metalldorn, auf den sie nun mit geübter Bewegung eine Perle «wickelt».Ein Marienkäfer entsteht
Mit etwas Druck flacht Karin Gross-Neff die glühende Perle auf einer Seite ab. Auf der gegenüberliegenden Seite macht sie mit einem Werkzeug eine Kerbe. Links und rechts davon platziert sie nun mit schwarzem Glas kleine Punkte – ein grüner Marienkäfer entsteht.Fasziniert von den schier unendlichen Möglichkeiten
Schon immer sei sie sehr kreativ gewesen, erzählt die 54-Jährige, die in Buchs aufgewachsen ist.Als Jugendliche habe ich viel gebastelt, glismet und alles Mögliche ausprobiert.Später hat sie das Filzen für sich entdeckt und jahrelang Finken, Hüte und Taschen gefilzt. Eines Tages kam die Idee auf, auch die Knöpfe für diese Taschen selber zu machen, weil sie manchmal nichts Passendes zu kaufen gefunden hat.
So bin ich auf die Glasperlen gestossen. Ich hatte das Glück, eine Frau zu finden, die mir die Basistechnik des Perlenmachens gezeigt hat.
Saubere Verarbeitung ist bei Mutperlen von grosser Bedeutung
Mit einem halbrunden Schnitzwerkzeug verpasst Karin Gross-Neff der Perle unterhalb der Augen ein lachendes Maul.Ich mache am liebsten Mutperlen mit Gesicht, weil ich ihnen so ein wenig Leben einhauchen kann.Weil die Glasperlen in die Hände von Kindern gelangen, ist eine gute Qualität und Verarbeitung enorm wichtig, erklärt die Künstlerin. Die Abschlüsse müssen sauber und frei von scharfen Kanten sein, weil diese eine Verletzungsgefahr darstellen würden.