Wessen Freiheit? | W&O

Fontnas 08.01.2025

Wessen Freiheit?

Leserbriefschreiber Walter Götti kritisiert eine meinungsgefärbte Darstellung der Schweizer Geschichte in der vergangenen Samstagsausgabe.

Von Walter Götti
aktualisiert am 08.01.2025
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«Wie die Schweiz zu ihrer Freiheit fand»,
Ausgabe vom 4. Januar

Als geschichtlich interessierter freiheitsliebender Mensch hat mich dieser Artikel unter der Rubrik «Gestern» sofort interessiert. Was man allerdings zu lesen bekommt, ist nicht einfach ein Stück Schweizer Geschichte.
Der Artikel würde besser unter «Meinungen» platziert. Die geschichtlichen Fakten dienen René Lüchinger dazu, seine pointierte Meinung gegen «radikale Linke» und «die EU» zu äussern.

Dazu dient auch das Bild einer Postkarte «Die Schweiz als Insel» von 1915. Immerhin zeigt er die Geschichte des harten Ringens der verschiedenen politischen Kräfte auf, die letztlich zum Kompromiss der Bundesverfassung von 1848 geführt haben. Die Konservativen von damals hätten alte Ordnung wieder herstellen wollen, am liebsten noch mit regierenden Kantonen und Untertanen wie vor 1798. Und sie hatten dafür gar zu den Waffen gegriffen! Die Einbindung aller politischen Kräfte war aber auch nach 1848 immer wieder eine Herausforderung.

Und beim Wort Freiheit stellt sich immer wieder die Frage, wessen Freiheit gemeint ist. Ist es die Freiheit der Vermögenden, Einflussreichen oder haben arme Leute auch Freiheiten? Die Arbeiterbewegung wird nur in einem Satz erwähnt. Erst sie brachte auch Arbeitnehmenden die Rechte und Freiheiten, auf die wir in der Schweiz ebenfalls stolz sind: die soziale Marktwirtschaft. Lüchinger schreibt zur individuellen Freiheit: «In jüngster Zeit ist dieser Konsens brüchig geworden.» Dem stimme ich zu. Nur braucht es zu einem Konsens immer beide Seiten! Immer wieder muss neu verhandelt werden, um auch den sozialen Frieden zu erhalten. Wenn die Löhne der Manager in der Wirtschaft auf unvorstellbar hohe Summen ansteigen, ist es wohl verständlich, wenn auch von radikal Linken entsprechend hohe Forderungen gestellt werden.

Im zweiten Abschnitt nennt Lüchinger den geschichtlichen «Europäischen Faschismus» im selben Satz wie die «Grossmacht EU». Ich finde das zumindest sehr unpassend. Ist doch die EU auch als Friedens- und Wirtschaftsprojekt nach dem zweiten Weltkrieg aus heute 27 sehr individuellen Staaten entstanden. Man vergisst leicht, dass Beschlüsse in der EU von allen Staaten einstimmig (!) gefällt werden. Auch Verträge mit der Schweiz müssen so ratifiziert werden. Ich meine, die bedrohliche Grossmacht ist einiges weiter im Osten!
Dass «radikal Rechte» in europäischen Staaten und in der Schweiz mit dieser kriegsführenden Macht sympathisieren, macht mir Angst. Konsequent zu Ende gedacht nimmt das jede Freiheit und ist radikal demokratiefeindlich.

Walter Götti,
Profasonweg 1a, 9476 Fontnas