Zertifikatsfälschungsskandal: Staatsanwaltschaft bringt drei Personen vor Gericht | W&O

23.01.2023

Zertifikatsfälschungsskandal: Staatsanwaltschaft bringt drei Personen vor Gericht

Es ist der grösste Fälschungsskandal von Covid-19-Zertifikaten in der Schweiz: Mitte Dezember 2021 konnten die Behörden im Kanton St. Gallen 6'000 Covid-19-Zertifikate nachweisen, die illegal ausgestellt wurden. Mittlerweile ist die Zahl auf 9'000 gestiegen.

Von Enrico Kampmann und Natascha Arsić
aktualisiert am 28.02.2023
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Vor einem Jahr liess die St. Galler Staatsanwaltschaft zehn Personen verhaften und es kam zu mehr als einem Dutzend Hausdurchsuchungen. Seither führt sie rund 20 Strafverfahren gegen Personen, die im Verdacht stehen, Zertifikate unrechtmässig hergestellt oder vermittelt zu haben. Nun sollen Ende Januar die ersten drei Anklagen beim zuständigen Kreisgericht erhoben werden.

Bis zu fünf Jahre Gefängnis

Den drei Beschuldigten wird vorgeworfen, unmittelbar in die Herstellung der formell authentischen, aber missbräuchlich erstellten Zertifikate involviert gewesen zu sein, bestätigt Leo-Philippe Menzel, Sprecher der St. Galler Staatsanwaltschaft. Gegen die Verdächtigen werde wegen Urkundenfälschung ermittelt. Bei einer Verurteilung droht ihnen eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe.

«Unwahre Zertifikate für beliebige Personen»

Wie aus einem Strafbefehl gegen eine Käuferin hervorgeht, welcher der Redaktion vorliegt, hatten die Hersteller über eine Mitarbeiterin eines privaten Testzentrums in St. Gallen Zugang zur entsprechenden Webapplikation des Bundesamts für Gesundheit. «Unter missbräuchlicher Verwendung des Benutzeraccounts dieser Testcentermitarbeiterin» konnten sie «inhaltlich unwahre Covid-Impfzertifikate für beliebige Personen ausstellen und auf elektronischem Wege verschicken».

Ein mutmasslicher Hersteller arbeitete in Widnau

Die Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht sogar von mehreren Mitarbeitenden bei verschiedenen Testzentren, die ihren Zugang missbräuchlich weitergaben und sich dafür bezahlen liessen. Einer der mutmasslichen Hersteller arbeitete gemeinsam mit einer Käuferin und Vermittlerin der gefälschten Zertifikate im gleichen Finanz- und Versicherungsberatungsunternehmen in Widnau.

Mit gefälschtem Zertifikat in Migros-Restaurant Kaffee getrunken

Dies geht aus dem Strafbefehl gegen die Frau hervor. Darin ist ebenfalls zu lesen, dass sie ihr für 300 Franken erstandenes Covid-Zertifikat nur einmal benutzte – «um damit im Migros-Restaurant in Widnau Kaffee zu trinken». Ob es sich beim erwähnten Hersteller um eine der drei Personen handelt, die Ende Januar angeklagt werden sollen, ist unklar.

Die Käufer erwartet ebenfalls eine Strafe

Von den rund 9'000 illegal hergestellten Coronazertifikaten seien rund 8'000 Impfzertifikate, beim Rest handle es sich um Genesenen- und vereinzelte Testzertifikate, sagt Menzel. Personen, die ein gefälschtes Covid-19-Zertifikat erworben haben, zahlten zwischen 300 und 800 Franken dafür. «Je mehr Zwischenhändler involviert waren, desto teurer wurden die Zertifikate für die Abnehmerinnen und Abnehmer.» Auch die Käufer machten sich strafbar. Ihnen drohen eine bedingte Geldstrafe sowie eine Busse. Bislang wurden gemäss Menzel rund 130 Verfahren abgeschlossen. 84 seien rechtskräftig erledigt, davon 56 mit einem Strafbefehl.

Zertifikat für Besuch im Wohn- und Pflegezentrum

Wie aus den Dutzenden Strafbefehlen hervorgeht, die der Redaktion vorliegen, hatten die Käufer verschiedenste Gründe für den Erwerb. Eine 54-Jährige verwendete das gefälschte Zertifikat beispielsweise, um unbefugt ins Wohn- und Pflegezentrum in Bernhardzell hineinzukommen, in dem zu diesem Zeitpunkt die Zertifikatspflicht galt.

Nach Erhalt Zertifikat wieder gelöscht

Eine 30-Jährige nutzte die Fälschung im November 2021 für eine USA-Reise, eine 21-Jährige reiste damit nach Frankreich. Ein weiterer damals 21-Jähriger benutzte das gefälschte Zertifikat gemäss eigenen Angaben kein einziges Mal, sondern löschte es kurz nach Erhalt wieder. «Aufgrund einer zeitnahen Intervention seiner Eltern».