Das Gefühl, nicht dazu zu gehören: Erlebte Fremdenfeindlichkeit im Alltag | W&O

25.03.2022

Das Gefühl, nicht dazu zu gehören: Erlebte Fremdenfeindlichkeit im Alltag

Aus Anlass der Aktionstage gegen Rassismus organisierten die Bibliothek Buchs und Mintegra einen Diskussionsabend. Dahbia Boukadoum und Ljuljja Jusenovic zeigen Beispiele auf.

Von Hanspeter Thurnherr
aktualisiert am 28.02.2023
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Zum Einstieg las Moderatorin Alice Gabathuler am Mittwochabend in der Bibliothek kurze Beispiele aus Texten von ausländischen Jugendlichen über ihre Eindrücke in der Schweiz, die sie im Rahmen einer Schreibwerkstatt verfasst hatten – und ermöglichten so den Zuhörern neue Einsichten. «Wo erlebst Du Alltagsrassismus?» Alice Gabathuler startete mit dieser Frage in die Podiumsdiskussion. Dahbia Boukadoum ist immer wieder mit der Aussage konfrontiert «Ich bin nicht rassistisch, aber, …». Durch das «Aber» werde der erste Teil des Satzes praktisch ausgelöscht. Sie sagt:
Die wenigsten gestehen sich ein, dass sie Vorurteile und Meinungen haben, von denen sie nicht abrücken wollen.
Kaum jemand überlege sich: Wie rassistisch bin ich? Die Grabser Lehrerin mit marokkanischen Wurzeln habe von ihrer Schweizer Grossmutter gelernt, dass man andere grüsst. Aber als Kind mit etwas dunklerer Haut habe sie bald gemerkt, das Ältere sie nicht grüssen wollen.

«Ich begegne hier nicht einer offenen Gesellschaft»

Die Kosovo-Albanerin Ljuljja Jusenovic lebt seit 27 Jahren in Buchs und ist heute stellvertretende Leiterin des Sozialamtes. «Anfänglich hörte ich immer die gleiche Frage: Woher kommst Du?» Sie habe dies als Interesse an ihrer Person interpretiert, aber bald gemerkt, dass die meisten gar nicht interessiert waren. Das hinterlasse einen bitteren Nachgeschmack. Auch die Aussage, dass sie sich anpassen soll, mag sie nicht mehr hören:
Anpassen an was? Wo sollen meine Defizite sein? Ich traue mir zu, den Platz in der Gesellschaft zu finden.
Ihr wurde schon gesagt, sie solle doch «normal» reden – gemeint ist Dialekt. «Ich bin als Erwachsene in die Schweiz gekommen. Es ist schon schwierig genug, Hochdeutsch zu lernen. Um Dialekt zu lernen, muss man Kontakte pflegen. Aber ich begegne hier nicht einer offenen Gesellschaft. Es ist schwierig, hier einheimische Freunde zu finden. Es sei eine Herkulesaufgabe. Dabei gibt es nichts Schlimmeres, als das Gefühl, nicht dazu zu gehören.»
 Moderatorin Alice Gabathuler und Jakob Gähwiler (Mintegra) führten durch die Podiumsdiskussion.
Moderatorin Alice Gabathuler und Jakob Gähwiler (Mintegra) führten durch die Podiumsdiskussion.
Bild: Hanspeter Thurnherr
Das Wort Integration mag sie deshalb nicht mehr hören. «Wenn die anderen nicht wollen, wie soll es denn funktionieren?» Ljuljja Jusenovic hat zwei Söhne, die aktuell studieren. «Dass die beiden dies mit diesem Nachnamen geschafft haben, wird von anderen oft wie ein Wunder angeschaut. Warum nur? Sie sind schliesslich hier aufgewachsen – und dumm sind wir auch nicht.» Dahbia Boukadoum fragt sich oft: «Welche Identität ist meine?» Bereits drei Generationen an Vorfahren lebten in Grabs.
Und trotzdem sehen mich viele nicht als Grabserin. Ich muss mich hier als Grabserin und wegen meiner Liebe zu beiden Heimaten rechtfertigen. Dabei muss ich mich eigentlich nicht beweisen.
Alice Gabathuler schilderte Erfahrungen, die hier viele anders Aussehende immer wieder machen: «Wenn im Bus eine Billettkontrolle gemacht wird, werden immer zuerst die Dunkelhäutigen kontrolliert – oder solche, die ‹anders› aussehen, wie etwa Punks. Warum eigentlich?»

Ohne Rassismus gäbe es viele Probleme nicht

Eine Feststellung aus dem Alltag der Sozialberatung der Stiftung Mintegra erzählt Geschäftsführer Jakob Gähwiler: «Die Menschen kommen wegen anderer Probleme zu uns in die Beratung. Wenn wir aber genauer hinschauen, wird klar: Ohne Rassismus gäbe es viele Probleme nicht oder sie wären kleiner. Als Gesellschaft müssen wir darüber reden, deshalb braucht es solche Anlässe.» «Jeder muss sich fragen: Was können wir tun?», sagte Alice Gabathuler. Für Jakob Gähwiler ist klar: «Zuhören ist ein erster Schritt.» Für Dahbia Boukadoum ist Empathie und Grundinteresse der Schlüssel.